a) Gemeinschaftsrechtmäßigkeit von § 1 AStG 2003
Soweit die Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG 2003 in persönlicher Hinsicht auf § 1 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 3 AStG 2003 beruht, kann sich der Steuerpflichtige ausschließlich auf eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) berufen. Beachten Sie: Da
- die Niederlassungsfreiheit in Drittstaatensachverhalten nicht anwendbar ist,
- andererseits jedoch die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) verdrängt,
ist unter diesen Umständen weder eine Berufung auf Art. 49 AEUV noch auf Art. 63 AEUV möglich.
Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung: Nach Auffassung des FG Rheinland-Pfalz ist § 1 AStG 2003 gemeinschaftsrechtskonform dahin auszulegen, dass der Steuerpflichtige die Möglichkeit erhält, aus seiner Gesellschafterstellung resultierende wirtschaftliche Gründe für die Vereinbarung nicht fremdüblicher Bedingungen mit einer nahestehenden Person im Ausland darzulegen und nachzuweisen.
Wirtschaftliche Gründe i.S.d. Urteils des EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16 Hornbach-Baumarkt sind außersteuerliche Gründe, d.h. solche Gründe, die nicht in Zusammenhang mit steuerlichen Motiven stehen. Sie sind in die i.R.d. Verhältnismäßigkeitsprüfung des § 1 AStG 2003 vorzunehmende Abwägung zwischen
- den durch die Regelung verfolgten Zielen und
- der durch die Einkünftekorrektur bewirkten Beeinträchtigung gemeinschaftsrechtlich geschützter Rechtspositionen
einzubeziehen. In welchem Umfang die wirtschaftlichen Gründe entscheidungserheblich sind, hängt in erster Linie davon ab, ob der Finanzverwaltung der Nachweis gelingt, dass die betreffende Gestaltung zu steuerlichen Zwecken gewählt wurde.
Beispiel: Gründet ein Konzern im Rahmen einer Marktexpansion Tochtergesellschaften in anderen EU-Mitgliedstaaten, die dort das Geschäft des Konzerns aufbauen sollen, und besteht bei diesen Tochtergesellschaften wegen der hierdurch bedingten Kosten erheblicher Kapitalbedarf, können wirtschaftliche Gründe die Gestellung von unentgeltlichen Patronats- und Garantieerklärungen gegenüber den Kreditgebern rechtfertigen.
FG Rheinland-Pfalz v. 16.8.2023 – 1 K 1472/13, EFG 2024, 278, Rev. eingelegt, Az. des BFH: I R 68/23
b) Besteuerungsrecht für einen nach Portugal ausgewanderten Rechtsanwalt
Von einem Versorgungswerk für Rechtsanwälte gewährte Altersrenten sind keine nachträglichen Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.S.d. Art. 14 Abs. 1 DBA-Portugal. Der von Portugal vor dem 1.4.2020 verliehene RNH-Status, mit dem eine zehnjährige Steuerbefreiung für Rentenleistungen verbunden ist, führt hinsichtlich dieser zur Anwendung der Rückfallklausel des Art. 22 Abs. 1 S. 2 DBA-Portugal.
FG Rheinland-Pfalz v. 15.11.2023 – 1 K 2026/22, EFG 2024, 286, Rev. eingelegt, Az. des BFH: X R 1/24
c) Besteuerung von Lohneinkünften eines Staatsorchester-Mitglieds nach DBA Luxemburg 2012
Auf Löhne eines Staatsorchester-Mitglieds findet Art. 18 Abs. 3 DBA Luxemburg 2012 Anwendung, da trotz vorrangiger Kulturförderung ohne angestrebte Gewinnerzielung das Staatsorchester einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit – und damit einer Geschäftstätigkeit – nachgeht.
Das Besteuerungsrecht Deutschlands folgt aus Art. 16 Abs. 1 DBA Luxemburg 2012, wonach – ungeachtet der Art. 7 und 14 – Einkünfte, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person als Künstler (wie Bühnen-, Film-, Rundfunk- und Fernsehkünstler sowie Musiker) oder als Sportler aus ihrer im anderen Vertragsstaat persönlich ausgeübten Tätigkeit bezieht, im anderen Staat besteuert werden.
FG Rheinland-Pfalz v. 20.9.2023 – 1 K 1470/23, EFG 2024, 305, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VI R 25/23
d) Verfassungsgemäße Anwendung von § 50d Abs. 12 EStG in VZ 2017
Die Anwendung des § 50d Abs. 12 EStG im Fall einer Abfindung, die mit Blick auf ein Ende September 2016 beendetes Arbeitsverhältnis
- vorab vereinbart,
- aber auf den alleinigen Wunsch des Arbeitnehmers hin erst im Jahr 2017 ausgezahlt wurde,
unterliegt unter dem Gesichtspunkt der (unechten) Rückwirkung nach Auffassung des Hessischen FG keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Hess. FG v. 21.11.2023 – 10 K 1421/21, EFG 2024, 397, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VI R 3/24