Im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zulässig, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist (vgl. BGH v. 28.10.2020 – 1 StR 158/20, AO-StB 2021, 293; 20.12.2016 – 1 StR 505/16, HFR 2016, 970 = StraFo 2017, 254; v. 6.4.2016 – 1 StR 523/15, wistra 2016, 363 = NZWiSt 2016, 354; v. 29.1.2014 – 1 StR 561/13, wistra 2014, 276; Jäger in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 370 Rz. 96; Heuel in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rz. 1211 [Oktober 2019]; Rolletschke in Rolletschke/Kemper/Roth, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rz. 237 ff. [Oktober 2021]; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 162 AO Rz. 16 [Oktober 2017]; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 370 AO Rz. 333 [Juli 2019]; Tormöhlen, AO-StB 2013, 256; Tormöhlen in Papperitz/Keller, ABC Betriebsprüfung, Fach 5 Stichwort "Schätzung" Rz. 17 ff. [September 2018].
Dies ist der Fall, wenn der Inhaber von Imbissbetrieben die Eingaben in die Registrierkassen unter Verwendung des sog. Trainer-Modus sowie der Rückgabe- und Stornofunktion so manipuliert hat, dass nicht sämtliche Umsätze auf den Tagesendsummenbons aufgezeichnet wurden und wenn nachträglich nicht mehr feststellbar ist, welche Umsätze nicht aufgezeichnet oder wieder storniert wurden. Dann ist es für die Überzeugungsbildung des Strafgerichts (§ 261 StPO) zulässig, auf eine anerkannte Schätzungsmethode zurückzugreifen. Dabei ist zu beachten, dass die Schätzungsmethoden im Steuerrecht und im Steuerstrafrecht einen unterschiedlichen Beweiswert haben können. Auf bloße Vermutungen darf eine Schätzung nicht gestützt werden. Wenn eine konkrete Berechnung der Umsätze und Gewinne nicht möglich ist und mangels vorhandener Tatsachenbasis andere Schätzungsmethoden nicht in Betracht kommen, darf der Tatrichter die Besteuerungsgrundlagen unter Heranziehung der Richtsatzsammlung des BMF pauschal schätzen. Dabei muss sich der Tatrichter nicht zugunsten des Angeklagten an den unteren Werten der Richtsätze orientieren, wenn sich Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der Besonderheiten des jeweiligen Gewerbebetriebes ergeben. Soweit andererseits Zweifel verbleiben, muss der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen.
Diese Anforderungen sind erfüllt, wenn das Gericht eine Nachkalkulation der Einnahmen anhand des Wareneinkaufs und der angebotenen Speisen zugrunde legt, hierbei eine Differenzierung für die Gruppen Getränke, Gerichte mit Fleisch und solche ohne Fleischeinsatz vornimmt und dann für jede dieser drei Gruppen den jeweiligen Rohgewinn-Aufschlagsatz bestimmt. Wenn allerdings der Angeklagte in seinen Imbissbetrieben nicht nur Gerichte "á la carte" angeboten, sondern auch Mittagsmenüs und Sondergerichte mit eigener Preisgestaltung verkauft hatte und insofern die Verteilung auf die Speiseangebote nur näherungsweise feststellbar war, ist es nicht zu beanstanden, wenn das Ergebnis der Nachkalkulation mit den Rohgewinn-Aufschlagsätzen der Richtsatzsammlung verglichen wird und die Ergebnisse der Nachkalkulation sodann unter Berücksichtigung deutlicher Sicherheitsabschläge herangezogen werden.
BGH v. 11.3.2021 – 1 StR 521/20