Wenn durch notariellen Vertrag GmbH-Anteile übertragen werden und zum Gesellschaftsvermögen ein Grundstück gehört, müssen der beurkundende Notar und der Steuerschuldner der GrESt-Stelle des zuständigen FA entsprechende schuldrechtliche Geschäfte anzeigen. Die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO endet drei Jahre nach dem Ende des Jahres der Steuerentstehung. Die dann beginnende Festsetzungsfrist beträgt regulär vier Jahre, in den Fällen leichtfertiger Steuerverkürzung dagegen fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 AO).
Dann müssen die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 378 AO erfüllt sein. Der Begriff der Leichtfertigkeit ist dabei dem materiellen Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht zu entnehmen; andererseits gelten jedoch verfahrensrechtlich die AO und die FGO (vgl. hierzu Tormöhlen in Papperitz/Keller, ABC Betriebsprüfung, Fach 5 Stichwort "Festsetzungsfrist" Rz. 8 [Januar 2021]). Nach § 378 Abs. 1 S. 1 AO handelt ordnungswidrig, wer als Steuerpflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen eine der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Taten leichtfertig begeht. Dazu zählt, die FinBeh. pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und dadurch Steuern zu verkürzen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Steuern sind verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 378 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 370 Abs. 4 S. 1 AO). Wer einer Anzeigepflicht nicht nachkommt, lässt im Allgemeinen die FinBeh. pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis und kann deshalb grundsätzlich eine leichtfertige Steuerverkürzung begehen. Hingegen ist der Notar im Hinblick auf die ihn treffende Anzeigepflicht aus § 18 GrEStG nicht tauglicher Täter einer leichtfertigen Steuerverkürzung. Er ist insoweit weder Steuerpflichtiger noch handelt er bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen, da er mit der Anzeige nicht eine Pflicht des Steuerschuldners, sondern eine eigene dem FA gegenüber bestehende Pflicht erfüllt (vgl. hierzu Groß in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2020, § 378 AO Rz. 8; Rolletschke in Rolletschke/Kemper/Roth, Steuerstrafrecht, § 378 AO Rz. 9 [April 2018]).
Leichtfertigkeit bedeutet einen erheblichen Grad an Fahrlässigkeit, der etwa der groben Fahrlässigkeit des Zivilrechts entspricht, im Gegensatz dazu aber auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters abstellt. Wenn besondere persönliche Fähigkeiten im Bereich der betreffenden Steuern fehlen, handelt der Täter leichtfertig, wenn er die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, und sich ihm deshalb aufdrängen muss, dass er dadurch Steuern verkürzt. Dabei muss das FA bzw. das FG zusätzliche auf das Individuum bezogene Feststellungen treffen, wobei der Schluss von gruppenspezifisch typischen Eigenschaften auf persönliche Fähigkeiten lediglich einen objektiven Maßstab bildet. Denn dieser erschöpft sich in der Erwartung, dass ein Angehöriger der Gruppe diese Fähigkeit haben müsse, ohne dass festgestellt wäre, dass er sie tatsächlich hat. Typizität trägt nicht die Schlussfolgerung auf jeden Einzelfall.
BFH v. 16.5.2023 – II R 35/20