Die Nebenbetroffene – eine Verwaltungs-GmbH & Co. KG – adressierte von 2010 bis Juli 2014 in über 1.000 Fällen Rechnungen an eine nicht existente Scheinfirma. Deshalb wurde gegen den Betroffenen – den Geschäftsführer der Komplementärin der Nebenbetroffenen – im Juli 2015 ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid erlassen, mit dem dieser wegen Steuergefährdung zu Geldbußen verurteilt wurde.
Gegenstand des neuerlichen Bußgeldverfahrens sind Vorfälle aus der Zeit von Juni 2013 bis Juni 2018. In diesem Zeitraum wurden von der Nebenbetroffenen an Kassen des Unternehmens, die nur für den Einkauf durch Gewerbetreibende vorgesehen waren, mehr als 92.000 Rechnungen für Verkaufsvorgänge erstellt, bei denen die Kunden nicht erfasst worden waren. Eine Erfassung wäre in dem Unternehmen nur über das Kassensystem bei der Erstellung der einzelnen Rechnungen durch die jeweiligen Mitarbeiter an den Kassen möglich gewesen, blieb aber aus.
Das AG hat nunmehr den Betroffenen und die Nebenbetroffene wegen leichtfertiger Steuerverkürzung gem. § 379 Abs. 2 Nr. 1a AO i.V.m. § 144 Abs. 1 AO, § 9 Abs. 1 Nr. 1, 2 OWiG schuldig gesprochen und in 340 Fällen Geldbußen festgesetzt.
Das OLG Hamburg hat auf die Rechtsbeschwerde ausgesprochen, dass die einzelnen Zuwiderhandlungen als selbständige materiell-rechtliche Taten und auch als selbständige prozessuale Taten zu bewerten seien. Der Bestimmung als eigenständige materiell-rechtliche Taten komme insoweit eine Indizwirkung zu, da sie bereits aufzeige, dass die einzelnen Deliktsverwirklichungen trennbar seien.
Für entscheidend hält das OLG Hamburg nicht die Zusammengehörigkeit der vom Betroffenen vorgenommenen aktiven Handlungen, nämlich die Einrichtung eines Systems oder die Anweisungen an die Mitarbeiter, sondern die Frage, ob seine Unterlassungen notwendig einheitlich zu betrachten und zu bewerten sind. Eben hieran fehlt es, wie sich bei der Prüfung der materiell-rechtlichen Tatmehrheit gezeigt hat. Anders als etwa bei dem Verhältnis von Umsatzsteuer-Voranmeldungen eines Jahres zu der dazugehörigen Jahreserklärung (vgl. hierzu BGH v. BGH v. 13.7.2017 – 1 StR 536/16, wistra 2018, 43; Tormöhlen in Papperitz/Keller, ABC Betriebsprüfung, Fach 5 Stichw. "Tatmehrheit" Rz. 3 [Oktober 2023]) waren die einzelnen Handlungspflichten des Betroffenen aus § 144 AO auch nicht hinsichtlich ihrer rechtlichen Bedeutung innerlich derart miteinander verknüpft, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einzelnen Taten nur in der Zusammenschau richtig gewürdigt werden könnte und aus diesem Grund ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden werden würde. Insb. überschneiden sich die einzelnen Aufzeichnungspflichten nicht inhaltlich, denn die Aufzeichnungspflicht hat den jeweiligen einzelnen Warenausgang zum Gegenstand. Die einzelnen Warenausgänge wiederum werden geprägt durch die unterschiedlichen Vertragspartner und die jeweils gelieferte Ware.
OLG Hamburg v. 28.2.2023 – 1 ORbs 1/23