1. Beschlagnahme (§ 94 StPO i.V.m. § 385 Abs. 1 AO)
a) Beschlagnahme eines Originaldatenträgers
Die Beschlagnahme eines Originaldatenträgers (z.B. eines Mobiltelefons) ist nur dann verhältnismäßig, wenn die Beschlagnahme für den konkreten Beweiszweck erforderlich ist. Hieran fehlt es, wenn dieser Zweck schon durch die Sicherung der entsprechenden Daten erreicht wird. Hierbei kommt insb. in Betracht, dass eine Kopie der Daten gefertigt wird (vgl. hierzu BVerfG v. 25.7.2007 – 2 BvR 2282/06, NJW 2007, 3343; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 94 Rz. 18a m.w.N.; Krug in Hüls/Reichling, 2. Aufl. 2020, Steuerstrafrecht, § 399 AO Rz. 60; ferner Tormöhlen in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 399 AO Rz. 51o [April 2020]). Der Originaldatenträger kann jedoch etwa dann beschlagnahmt werden, wenn im Einzelfall der Verdacht besteht, dass sich hierauf verborgene, verschleierte oder verschlüsselte beweisrelevante Daten befinden.
LG Lübeck v. 3.2.2022 – 6 Qs 61/21
b) Beschlagnahme auf Grund nicht konkretisierter Anordnung
Wenn in einem gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss gegen einen Beschuldigten gleichzeitig die Beschlagnahme von "Mobiltelefonen, Notebooks und anderen Datenträgern" angeordnet wird, stellt diese Beschlagnahmeanordnung lediglich eine Leitlinie für die Durchsuchung dar, da die Beweismittel zu diesem Zeitpunkt noch nicht konkretisiert und noch nicht in den staatlichen Gewahrsam überführt worden sind. Somit scheidet die Anordnung einer Beschlagnahme vor Vollzug des entsprechenden Durchsuchungsbeschlusses i.d.R. aus (vgl. hierzu BVerfG v. 9.11.2001 – 2 BvR 436/01, NStZ 2002, 212; LG Essen v. 12.8.2009 – 56 Qs 7/09, wistra 2010, 78; LG Bielefeld v. 22.11.2007 – Qs 587/07 I, wistra 2007, 117; LG Mühlhausen v. 15.11.2006 – 6 Qs 9/06, wistra 2007, 195; LG Bad Kreuznach v. 21.10.1993 – 6 Qs 3/93, StV 1994, 177; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 98 Rz. 9 m.w.N.; Eschelbach in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl. 2020, § 98 Rz. 21; Krug in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2020, § 399 AO Rz. 48; Tormöhlen in Papperitz/Keller, ABC Betriebsprüfung, Fach 5 Stichwort "Durchsuchung" Rz. 4 [Juni 2017]).
LG Mannheim v. 3.2.2022 – 4 Qs 55/21
2. Durchsuchung beim nicht verdächtigen Betroffenen (§ 103 StPO i.V.m. 385 Abs. 1 AO)
Eine Durchsuchungsanordnung nach § 103 StPO, die einen Dritten betrifft, setzt, anders als die Maßnahme beim Tatverdächtigen (§ 102 StPO), voraus, dass hinreichend individualisierte Beweismittel für die den Gegenstand des Verfahrens bildende Straftat gesucht werden. Diese Gegenstände müssen im Durchsuchungsbeschluss so weit konkretisiert werden, dass weder bei dem Betroffenen noch bei dem die Durchsuchung vollziehenden Beamten Zweifel über die zu suchenden und zu beschlagnahmenden Gegenstände entstehen können. Ausreichend ist es, wenn die Beweismittel der Gattung nach näher bestimmt sind (vgl. hierzu BGH v. 15.10.1999 – StB 9/99, NStZ 2000, 154; Hadamitzky in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl. 2020, § 103 Rz. 5; Tormöhlen in Papperitz/Keller, ABC Betriebsprüfung, Fach 5 Stichwort "Durchsuchung" Rz. 11 [Juni 2017]).
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es, in jedem Verfahrensstadium das jeweils mildeste Mittel anzuwenden. Die Durchsuchung bei einem Nichtbeschuldigten, der durch sein Verhalten keinen Anlass zu den Ermittlungsmaßnahmen gegeben hat, stellt darüber hinaus erhöhte Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Deshalb ist nichtverdächtigen Betroffenen zumindest vor der Vollstreckung der Zwangsmaßnahme i.d.R. Gelegenheit zur freiwilligen Herausgabe des sicherzustellenden Gegenstandes zu geben. Diese Abwendungsbefugnis ist auch in die Anordnungsentscheidung aufzunehmen.
Vor diesem Hintergrund kann es im Einzelfall sogar geboten sein, anstelle einer Durchsuchungsanordnung nach § 103 StPO ein Herausgabeverlangen nach § 95 StPO vorzunehmen. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn sicher ist, dass sich ein beschlagnahmefähiger Beweisgegenstand im Gewahrsam des Drittbetroffenen befindet, es nicht auf einen Überraschungseffekt ankommt, der Beschleunigungsgrundsatz nicht entgegensteht und weder ein das Ermittlungsverfahren bedrohender Verlust des fraglichen Gegenstandes zu befürchten noch etwaige Verdunkelungsmaßnahmen zu besorgen sind (vgl. auch LG Halle v. 22.7.2022 – 2 Qs 2/22, n.v.).
BGH v. 18.11.2021 – StB 6/21 BGH v. 18.11.2021 – StB 7/21
3. Pflichtverteidigung (§§ 140 ff. StPO i.V.m. § 385 Abs. 1 AO)
Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers in bereits abgeschlossenen Verfahren kommt nicht in Betracht (vgl. hierzu OLG Bdb. v. 9.3.2020 – 1 Ws 19/20, 1 Ws 20/20, NStZ 2020, 625; a.A. OLG Nürnberg v. 6.11.2020 – Ws 962 – 963/20, StraFo 2021, 71; OLG Hamburg v. 16.9.2020 – 2 Ws 112/20, StraFo 2020, 486; str.; zum Streitstand vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 142 Rz. 19 m.w.N.).
LG Heilbronn v. 20.6.2022 – 8 Qs 7/22
4. Mitteilung über Verständigungsgespräche (§ 243 Abs. 4 StPO)
Der Vorsitzende hat nach Verlesung des Anklagesatzes gem. § 243 Abs. 4 S. 1 StPO mitzuteilen, ob vor Beginn der Hauptverhandlung Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Dabei muss nicht nur darüber informiert werden, dass Erörterungen sta...