1. Sicherstellung von extern gespeicherten Daten (§ 110 Abs. 3 StPO i.V.m. § 385 Abs. 1 AO)
Wenn sicherzustellende Daten nicht im Inland gespeichert sind, sondern sich der Server im Ausland befindet, keine Zustimmung zum Datenzugriff seitens des Betroffenen vorliegt und entgegen völkerrechtlicher Verpflichtung (vgl. Art. 25 GG) kein Rechtshilfeersuchen an die zuständigen Behörden des ausländischen Staates eingeholt worden ist, stellt das Abrufen und Speichern solcher Daten keinen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Souveränität des ausländischen Staates dar. Denn auch Strafverfolgungsmaßnahmen, für welche ein ausgehendes Rechtshilfeersuchen notwendig ist, richten sich nach dem allgemeinen inländischen Strafverfahrensrecht. Dem entsprechend entzieht das völkerrechtliche Territorialprinzip strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen nicht von vornherein ihren Anwendungsbereich im Falle eines Auslandsbezugs. Lediglich deren Vollstreckung im Ausland ist durch dieses Prinzip beschränkt und kann hieran scheitern (str.; a.A. etwa Hadamitzky in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl. 2020, § 110 Rz. 24 ff.; Krug in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2020, § 399 AO Rz. 23; Graf in BeckOK/StPO, § 110 Rz. 16 [Oktober 2023]; Gercke in Gercke/Temming/Zöller, StPO, 7. Aufl. 2023, § 110 Rz. 27 ff.).
LG Berlin v. 29.12.2022 – 519 Qs 8/22
2. Versiegelung eines sichergestellten Datenträgers (§ 110 Abs. 2 S. 2 StPO)
Das Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG wird verletzt, wenn ein Eilantrag auf sofortige Versiegelung eines Umschlags, in dem sich ein bei einer Durchsuchung sichergestellter USB-Stick befindet, nach ca. acht Monaten vom Ermittlungsrichter des AG noch nicht beschieden worden ist (zur Versiegelung vgl. auch Hadamitzky in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl. 2020, § 110 Rz. 22; Streck / Spatscheck / Talaska, Die Steuerfahndung, 5. Aufl. 2017, Rz. 512; Tormöhlen in Papperitz/Keller, ABC Betriebsprüfung, Fach 5 Stichwort "Durchsuchung" Rz. 12.2 [Januar 2023]).
BVerfG v. 26.6.2023 – 1 BvR 491/23
3. Akteneinsicht (§ 147 StPO)
Handakten der Staatsanwaltschaft bzw. Generalstaatsanwaltschaft sind rein innerdienstliche Akten, die vom Akteneinsichtsrecht des Verteidigers nach § 147 StPO nicht umfasst sind. Diese Norm regelt das Einsichtsrecht in Akten eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens und gewährt dieses Recht nur in solche Akten, die dem Gericht vorliegen oder im Falle einer Anklage vorzulegen wären. Handakten der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft stellen innerdienstliche Unterlagen dar und sind vergleichbar mit Arbeitsvermerken der Polizei, Senatsheften von Obergerichten und Handakten der BuStra (vgl. VG Würzburg v. 17.9.2021 – W – 10 K 20.1059, juris; ferner BGH v.18.6.2009 – 3 StR 89/09, StraFo 2009, 338; Schiemann in Gercke/Temming/Zöller, StPO, 7. Aufl. 2023, § 147 Rz. 7).
OLG Karlsruhe v. 20.4.2023 – 2 VAs 4/23
4. Bedeutung der Selbstbelastungsfreiheit (§ 243 Abs. 5 S. 1 StPO)
Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, und somit ein Schweigerecht hat, beruht auf dem Grundsatz auf ein faires Verfahren ("fair trial"). Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (vgl. § 243 Abs. 5 S. 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden. Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus einer durchgängigen noch aus einer anfänglichen Aussageverweigerung eines Angeklagten nachteilige Schlüsse gezogen werden. Dies gilt auch dann, wenn der Beschuldigte zunächst zum Tatvorwurf geschwiegen hatte und nach mehreren Monaten Untersuchungshaft eine bestreitende Einlassung abgibt (zur möglichen Würdigung des sog. Teilschweigens vgl. BGH v. 23.3.2021 – 3 StR 68/21, StV 2021, 477; BGH v. 13.10.2015 – 3 StR 344/15, NStZ 2016, 220; Schluckebier in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl. 2020, § 261 Rz. 28; Tiemann in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 261 Rz. 163 m.w.N.)
BGH v. 27.4.2023 – 5 StR 52/23
5. Einspruch gegen Strafbefehl (§ 410 StPO)
Der Einspruch gegen einen Strafbefehl ist schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen (§ 410 Abs. 1 S. 1 StPO). Die schlichte Übersendung eines abgelichteten und unterschriebenen Schreibens als Anhang einer E-Mail genügt nicht dem Erfordernis der Schriftlichkeit (gl.A. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 147 Rz. 1; Momsen in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl. 2020, § 410 Rz. 9 f.; Maur in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 410 Rz. 4).
Denn nach § 32a Abs. 3 StPO muss ein Dokument wie der Einspruch, der schriftlich abzufassen ist, als elektronisches Dokument – also z.B. als E-Mail – mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (z.B. über das besondere elektronische Anwaltspostfach – beA). Sichere Übertragungswege sind allein in § 32a Abs. 4 StPO enumerativ und abschließend aufgeführt. Hierzu zählt der einfache E-Mail-Versand n...