1. Vermögensarrest (§ 111e StPO)
a) Keine Teilaufhebung wegen möglicher Selbstanzeige
Einem u.a. wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs Verurteilten, gegen welchen das Strafgericht eine noch nicht rechtskräftige Einziehungsentscheidung zugunsten des Geschädigten getroffen hat, die durch einen Vermögenarrest gesichert ist, muss nicht im Wege der teilweisen Freigabe des arrestierten Vermögens ermöglicht werden, die Voraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 Abs. 3 AO oder einer Absehensentscheidung gem. § 398a Abs. 1 AO herbeizuführen. Denn grds. trägt allein der Steuerpflichtige die Verantwortung für das Ge- oder Misslingen einer Selbstanzeige (vgl. LG München II v. 13.3.2014 – W 5 KLs 68 Js 3284/13, juris).
LG Nürnberg-Fürth v. 11.7.2023 – 12 KLs 506 Js 609/22
b) Verhältnismäßigkeit eines Vermögensarrestes
Das Übermaßverbot als Teilaspekt des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss angesichts des möglichen intensiven Eingriffs in das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 GG von Verfassungs wegen bereits bei der Anordnung sowie auch bei der Fortdauer eines Vermögensarrestes besonders beachtet werden.
Von einer Unverhältnismäßigkeit der Arrestanordnung wegen Verfahrensverzögerung kann bei einem erheblichen Tatvorwurf mit hohen Schadenssummen nach sechs Monaten noch nicht ausgegangen werden. Dies wäre aber dann der Fall, wenn die Arrestanordnung seit mehr als drei Jahren bestünde und noch keine Anklage erhoben oder noch nicht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden worden oder nicht wenigstens absehbar wäre, wann im Falle der Eröffnung der Sache mit der Durchführung der Hauptverhandlung gerechnet werden könnte (vgl. OLG Frankfurt v. 14.6.2018 – 3 Ws 425/17, juris; OLG Rostock v. 12.4.2018 – 20 Ws 42/18, StraFo 2018, 350; ferner Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 111e Rz. 18 m.w.N.).
Thür. OLG v. 4.10.2022 – 1 Ws 463/21
2. Mitteilung über verständigungsbezogene Gespräche (§ 243 Abs. 4 StPO)
a) Inhalt der Mitteilung
Inhalt und Verlauf von verständigungsbezogenen Gesprächen zwischen den Verfahrensbeteiligten müssen in der Hauptverhandlung mitgeteilt werden. Der Vorsitzende darf sich nicht darauf beschränken, kundzutun, dass eine Verständigung herbeigeführt worden sei und welche Strafe der Angeklagte im Falle eines Geständnisses zu erwarten habe. Nach dem Sinn und Zweck des § 243 Abs. 4 StPO obliegt es dem Vorsitzenden, dem Allgeklagten und der Allgemeinheit darüber hinaus mitzuteilen, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob diese bei den anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. hierzu BGH v. 5.7.2018 – 5 StR 180/18, NStZ-RR 2018, 355 = StV 2019, 375; Franke in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl. 2020, § 243 Rz. 17 m.w.N.).
BVerfG v. 8.11.2023 – 2 BvR 294/22
b) Mitteilungspflicht auch nach Aussetzung der Hauptverhandlung
Der Vorsitzende der Strafkammer hat auch dann die Pflicht, den Inhalt eines etwaigen Verständigungsgesprächs mitzuteilen, wenn es nach der Aussetzung der ursprünglichen Hauptverhandlung (§ 228 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO) und deren Neuterminierung zu einer Änderung der Kammerbesetzung gekommen ist und der spätere Vorsitzende nicht an den Erörterungen teilgenommen hatte. Mit der Zielsetzung des § 243 Abs. 4 StPO, den Angeklagten und die Öffentlichkeit über vorausgegangene verständigungsbezogene Erörterungen zu informieren, wäre es unvereinbar, die spruchkörperbezogene Mitteilungspflicht davon abhängig zu machen, ob sich die Besetzung des Gerichts im Nachhinein noch ändert (vgl. hierzu Franke in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl. 2020, § 243 Rz. 19; Schneider in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 243 Rz. 47).
BGH v. 4.4.2023 – 1 StR 455/22
c) Verständigung (§ 257c StPO)
Einer staatsanwaltschaftlichen Zusicherung, nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellte Verfahren bzgl. weiterer Steuerstraftaten nicht wieder aufzunehmen, kommt von vornherein nicht die Bindungswirkung einer gerichtlichen Verständigung (§ 257c StPO) zu (vgl. hierzu BGH v. 12.7.2016 – 1 StR 136/16, NStZ 2017, 56; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 257c Rz. 15a; Ignor / Wegner in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl. 2020, § 257c Rz. 46; Moldenhauer / Wenske in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 257c Rz. 15g; Tormöhlen in Papperitz/Keller, ABC Betriebsprüfung, Fach 5 Stichw. "Verständigung im Strafverfahren" Rz. 8 m.w.N. [Oktober 2022]).
BGH v. 13.12.2022 – 1 StR 380/22
3. Ablehnung eines Beweisantrages wegen Unerreichbarkeit des Zeugen (§ 244 Abs. 5 S. 2 i.V.m. S. 1 StPO)
Unerreichbar ist ein Zeuge, wenn das Tatgericht unter Beachtung der ihm obliegenden Sachaufklärungspflicht alle der Bedeutung des Zeugnisses entsprechenden Bemühungen zur Beibringung des Zeugen vergeblich entfaltet hat und keine begründete Aussicht besteht, dass der Zeuge in absehbarer Zeit als Beweismittel herangezogen werden kann (vgl. BGH v. 8.3.1968 – 4 StR 615/67, BGHSt 22, 118, 120; v. 24.8.1983 – 3 StR 136/83, BGHSt 32, 68, 73; v. 2.11.2016 – 2 StR 556/15; st. Rspr.). In die tatgerichtliche Bewertung dürfen die Gesamtumstände, die dem Erscheinen und der Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung entgegenstehen, einbezogen werden (vgl. BGH v. 26.10.1965 – 5 StR 413/65). Ist das Gericht nach gewissenhafter Prüfung der maßgebenden Umstände davo...