BGH-, BFH- und LG-Entscheidungen
[Ohne Titel]
VorsRiLG Helmut Tormöhlen
Als Fortsetzung der Rechtsprechungsübersicht in AO-StB 9/2021 (Tormöhlen, AO-StB 2021, 292) werden wieder praxisrelevante Entscheidungen zum Steuerstrafrecht vorgestellt, die bisher noch nicht im AO-StB besprochen wurden.
Bitte beachten Sie auch das Archiv der Entscheidungen im Volltext in Ihrem Berater-Modul "Steuerliches Verfahrensrecht" unter steuerberater-center.de
I. Verlust der Amtsfähigkeit (§ 45 Abs. 2 StGB)
Ein ehrenamtlicher Richter an einem FG, gegen welchen Anklage wegen Steuerhinterziehung erhoben worden ist und die gerichtliche Aberkennung der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden in Betracht kommt (§ 375 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 45 Abs. 2 StGB), ist auch dann von seinem Amt zu entbinden, wenn über die Eröffnung des Hauptverfahrens fast zweieinhalb Jahre nach Anklageerhebung noch nicht entschieden worden ist.
Der Wortlaut des § 18 Abs. 1 Nr. 2 FGO ist eindeutig. Er stellt allein auf die Erhebung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft (§§ 151, 152 Abs. 1, § 170 Abs. 1 StPO) und nicht auf die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) ab. Dies ist weder verfassungswidrig (Müller-Horn in Gosch, AO/FGO, § 18 FGO Rz. 5 [August 2018]) noch bedenklich im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG (Schmid in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 18 FGO Rz. 11 [Januar 2016]; a.A. App, DStZ 1987, 464). Die Anklageerhebung wegen einer Tat von solchem Gewicht, dass das Gesetz den Verlust oder die Möglichkeit der Aberkennung der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, vorsieht, reicht für einen Vertrauensverlust der Allgemeinheit und der Verfahrensbeteiligten hinsichtlich der für die Amtsausübung erforderlichen Integrität und Objektivität des Angeklagten aus und gefährdet auch dessen innere persönliche Objektivität und Freiheit, die Voraussetzung unbefangener Urteilsfähigkeit sind (vgl. zu den Voraussetzungen und Statusfolgen des § 45 Abs. 2 StGB auch Tormöhlen in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 375 AO Rz. 7 f., 18 f. [Oktober 2021]).
BFH v. 29.7.2021 – II B 12/21
II. Einziehung (§§ 73 ff. StGB i.V.m. § 369 Abs. 2 AO)
1. Verkürzte Steuer als erlangtes Etwas
Bei der Steuerhinterziehung kann die verkürzte Steuer das erlangte Etwas i.S.d. § 73 Abs. 1 StGB darstellen, weil sich der Täter die Aufwendungen für diese erspart (vgl. BGH v. 13.7.2010 – 1 StR 239/10, wistra 2010, 406; v. 23.5.2019 – 1 StR 479/18, AO-StB 2020, 12; Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 73 Rz. 20; Eser / Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 73 StGB Rz. 6; Heuchemer in v. Heintschel-Heinegg, BeckOK/StGB, § 73 Rz. 10 [Mai 2021]; Schützeberg in Rolletschke/Kemper, § 369 Rz. 84 [September 2012). Dies gilt aber nicht ausnahmslos. Denn offene Steuerschulden spiegeln sich nicht stets im Tätervermögen wider. In Fällen, in denen die geschuldete Umsatzsteuer nicht aus einer Lieferung oder sonstigen Leistung resultiert, sondern ein unberechtigter Steuerausweis i.S.d. § 14c UStG ohne zugrunde liegende Leistung gegeben ist, fehlt es an einem messbaren wirtschaftlichen Vorteil. Deshalb kommt in diesen Fällen eine Einziehung des Wertes von Taterträgen in Form ersparter Aufwendungen nicht in Betracht. Denn die Norm des § 14c Abs. 2 S. 2 Alt. 2 UStG knüpft nicht an einen tatsächlichen Austausch von Gütern oder Leistungen an, sondern lediglich an den unberechtigten Steuerausweis (vgl. hierzu Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, § 14c Rz. 11 ff. [Juni 2021].
BGH v. 25.3.2021 – 1 StR 28/21
2. Erlangtes Etwas durch den Steuerhehler
Zwar kann ein Täter auch dadurch etwas i.S.d. § 73 Abs. 1 StGB erlangen, dass er sich Aufwendungen erspart. Infolgedessen kann bei einer Steuerhinterziehung grundsätzlich auch ein Betrag in Höhe nicht gezahlter Steuern in Gestalt ersparter Aufwendungen der Einziehung unterliegen. Der Steuerhehler nach § 374 AO erlangt jedoch weder durch die Tat noch für diese die von den Lieferanten hinterzogenen Steuern und Abgaben. Er erspart sich durch die Tat auch keine Aufwendungen. Der Steuerhehler erlangt dadurch, dass er Zigaretten ankauft oder sich sonst verschafft, zunächst die Zigaretten und durch den anschließenden Weiterverkauf den hieraus erzielten Erlös (vgl. hierzu BGH v. 18.12.2018 – 1 StR 407/18, NStZ-RR 2019, 153; v. 4.7.2018 – 1 StR 244/18, HFR 2018, 919; v. 27.1.2015 – 1 StR 613/14, wistra 2015, 236; v. 28.6.2011 – 1 StR 37/11, wistra 2011, 394; Tormöhlen in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 374 AO Rz. 77b [Oktober 2021]). Das Tatgericht muss somit den Erlös aus dem Verkauf der Zigaretten feststellen, was dem Wert der Zigaretten entspricht (§ 73 Abs. 1 Alt. 1, § 73c S. 1 StGB).
BGH v. 5.5.2021 – 1 StR 502/20
III. Steuerhinterziehung (§ 370 AO)
1. Steuerhinterziehung durch Cum-Ex-Leerverkäufe
Mit sog. Cum-Ex-Aktiengeschäften werden Profite aus der unberechtigten Geltendmachung nicht einbehaltener KapESt nebst SolZ generiert und über den Abschluss von Kurssicherungsgeschäften unter den Beteiligten verteilt. Dabei verkaufte der Veräußerer in zeitlicher Nähe zum Tag der Hauptversammlung, aber noch vor dessen Ablauf, Aktien mit Dividendenanspruch ("Cum-Aktie"), die er nicht in seinem Bestand hatte, sondern sich zur Erfüll...