BVerfG-, BGH-, LG- und FG-Entscheidungen
[Ohne Titel]
VorsRiLG Helmut Tormöhlen
Als Fortsetzung der Rechtsprechungsübersicht in AO-StB 1/2022 (Tormöhlen, AO-StB 2022, 17) werden wieder praxisrelevante Entscheidungen zum Steuerstrafrecht vorgestellt, die bisher noch nicht im AO-StB besprochen wurden.
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I. Einziehung (§§ 73 ff. StGB i.V.m. § 369 Abs. 2 AO)
1. Rückwirkende Einziehung von Taterträgen
Ein Gesetz entfaltet eine echte Rückwirkung in Form einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll. Eine solche echte Rückwirkung ist grundsätzlich unzulässig. Dagegen liegt eine sog. unechte Rückwirkung vor, auch tatbestandliche Rückanknüpfung genannt, wenn die Rechtsfolgen eines Gesetzes erst nach dessen Verkündung eintreten, dessen Tatbestand aber Sachverhalte erfasst, die bereits vor Verkündung ihren Anfang genommen haben (vgl. hierzu BVerfG v. 14.5.1986 – 2 BvL 2/83, BStBl. II 1986, 628; Seiler in Kirchhof/Seer, EStG, 21. Aufl. 2022, § 52 Rz. 12 ff.; Tormöhlen in Korn, EStG, § 52 Rz. 3 m.w.N. [Juni 2020]).
Art. 316j Nr. 1 EGStGB beinhaltet eine echte Rückwirkung. Der Gesetzgeber begründete die Einführung des § 73e Abs. 1 S. 2 StGB damit, dass er eine gleichheitswidrige Abschöpfungslücke schließen wolle. Die mit Art. 316j Nr. 1 EGStGB zugleich angeordnete Rückwirkung begründete er damit, dass die Erwartung, deliktisch erlangte Vermögenswerte infolge Zeitablaufs nicht behalten zu dürfen, nicht schutzwürdig sei. Er griff damit ersichtlich in abgeschlossene Vorgänge nachträglich ändernd ein.
Diese echte Rückwirkung ist ausnahmsweise zulässig, weil sie durch überragende Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt ist. Denn das Interesse der Allgemeinheit, durch Steuerhinterziehungen in großem Ausmaß eingetretene, in die Gegenwart fortwirkende Störungen der Vermögensordnung zu beseitigen und so der Rechtsgemeinschaft zu verdeutlichen, dass sich Straftaten nicht lohnen, geht dem Interesse der Betroffenen, durch Steuerdelikte erlangte Vermögenswerte nach Eintritt der steuerrechtlichen Verjährung behalten zu dürfen, vor.
BVerfG v. 7.4.2022 – 2 BvR 2194/21
2. Keine Einziehung bei Versuch
Wenn der Täter keine Steuererklärungen zur ESt, GewSt und USt abgegeben und das FA deshalb die Besteuerungsgrundlagen geschätzt hat, die entsprechenden – zu niedrigen – Steuerbescheide aber erst nach Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens ergehen, liegt keine vollendete Steuerhinterziehung vor, weil die Strafbewehrung der Erklärungspflicht suspendiert war (vgl. BGH v. 26.4.2001 – 5 StR 587/00, BGHSt 47, 8; v. 17.3.2005 – 5 StR 328/04, NStZ 2005, 517; Tormöhlen in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 393 AO Rz. 29 ff. [Februar 2020]).
Bei einer solchermaßen versuchten Steuerhinterziehung kommt eine Einziehung – von ersparten Steueraufwendungen als Vermögensvorteil – nach § 73 Abs. 1, § 73c S. 1 Alt. 1 StGB i.V.m. § 369 Abs. 2 AO nicht in Betracht, weil der Täter nichts durch die Tat erlangt hat. Denn das Abschöpfen der ersparten Steueraufwendungen setzt den Taterfolg voraus, insb. die zu niedrige oder verspätete Steuerfestsetzung (§ 370 Abs. 4 S. 1 Halbs. 1 AO).
BGH v. 8.3.2022 – 1 StR 360/21
3. Einziehung in den Fällen der Cum/Ex-Geschäfte
Auch wenn der Steuerpflichtige gegen einen Steuerbescheid Einspruch eingelegt hat, kann er auf eine Steuerschuld wirksam zahlen. Auch die Zahlung unter Vorbehalt hat zur Folge, dass der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis gem. § 47 AO erlischt (vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 47 AO Rz. 24 [März 2022]).
Wenn der Prokurist einer Bank wegen Steuerhinterziehung im Hinblick auf Cum/Ex-Leerverkaufsgeschäfte (vgl. hierzu BGH v. 28.7.2021 – 1 StR 519/20, AO-StB 2022, 18; BFH v. 2.2.2022 – I R 22/20, AO-StB 2022, 143; BVerfG v. 7.4.2022 – 2 BvR 2194/21, DStZ 2022, 431; H. Schmid, wistra 2022, 265; Liebl, JM 2021, 469) verurteilt worden ist und das Gericht die Einziehung des von der Bank an ihn geleisteten Tatlohns von 100.000 EUR angeordnet hat, bleiben Steuernachzahlungen der Bank hiervon unberührt und bringen den Einziehungsanspruch des Staates nicht zum Erlöschen. Denn § 73e Abs. 1 S. 1 StGB betrifft in diesem Fall nur das Rückabwicklungsverhältnis des Fiskus zur Bank (zum Anwendungsbereich des § 73e StGB allgemein vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 73e Rz. 2 ff.).
BGH v. 6.4.2002 – 1 StR 466/21
4. Einziehung des Wertersatzes beim einziehungsbeteiligten Dritten
Durch Steuerhinterziehung ersparte Aufwendungen in Höhe nicht gezahlter Steuern erlangt nur der Steuerschuldner etwas, nicht auch ein Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB i.V.m. § 369 Abs. 2 AO). Wenn der Mittäter einem Dritten finanzielle Mittel aus der Straftat unentgeltlich zugewandt hat, kommt eine Einziehung nach § 73b Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 73 Abs. 1, § 73c S. 1 StGB i.V.m. § 369 Abs. 2 AO deshalb nicht in Betracht.
BGH v. 19.5.2022 – 1 StR 405/21
II. Steuerhinterziehung (§ 370 AO)
1. Ehegattenverantwortlichkeit bei Zusammenveranlagung
Zusammenveranlagte Eheleute müssen nach § 25 Abs. 3 S. 2 EStG eine gemeinsame ESt-Erklä...