BVerfG-, BFH-, BGH-, OLG- und LG- Entscheidungen
[Ohne Titel]
VorsRiLG a.D. Steuerberater Helmut Tormöhlen
Als Fortsetzung der Rechtsprechungsübersicht in AO-StB 1/2024 (Tormöhlen, AO-StB 2024, 15) werden wieder praxisrelevante Entscheidungen zum Steuerstrafrecht vorgestellt, die bisher noch nicht im AO-StB besprochen wurden.
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I. Einziehung (§§ 73 ff. StGB i.V.m. § 369 Abs. 2 AO)
1. Feststellungen zum Verkürzungsumfang notwendig
Die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 Alt. 1, § 73c S. 1 StGB i.V.m. § 369 Abs. 2 AO setzt in den Fällen der Steuerhinterziehung voraus, dass der Umfang der Steuerverkürzungen exakt festgestellt wird. Wenn im Urteil weder der Inhalt der ESt-Erklärungen festgestellt noch alle weiteren Parameter, die für die zutreffende Festsetzung der ESt relevant sind, kann der Urteilsausspruch über die Einziehung keinen Bestand haben (zur Ersparnis von Aufwendungen bei Steuerhinterziehung vgl. BGH v. 13.7.2010 – 1 StR 239/10, wistra 2010, 406; BGH v. 18.12.2018 – 1 StR 36/17, wistra 2019, 333 = NStZ 2019, 465; Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 73 Rz. 18 f., 33).
Die Erklärungen zur einheitlichen und gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sowie die nachfolgende ESt-Erklärung sind eine einzige materiellrechtliche Tat, was aus der Bindungswirkung der vom Betriebsstätten-FA festgestellten gewerblichen Einkünfte (§ 171 Abs. 10, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 182 Abs. 1 S. 1 AO) für die Festsetzung der ESt folgt.
BGH v. 13.6.2023 – 1 StR 53/23
2. Keine Einziehung bei nur versuchter Steuerhinterziehung
Im Falle einer versuchten Steuerhinterziehung (§§ 369 Abs. 2, 370 Abs. 1 und 2 AO, § 23 Abs. 1 StGB) kommt eine Einziehung von Taterträgen bzw. des Wertes von Taterträgen nicht in Betracht. Denn das Abschöpfen der ersparten Steueraufwendungen setzt den Taterfolg, nämlich die zu niedrige oder verspätete Festsetzung (§ 370 Abs. 4 S. 1 Halbs. 1 AO), voraus. Erst damit realisiert sich eine Ersparnis, die kausal auf die tatbestandsmäßige Handlung zurückzuführen ist. Die Abschöpfung ersparter Steueraufwendungen erfordert zudem, dass der Tatbeteiligte über diese Ersparnisse tatsächlich verfügen kann. Die Vermögensvorteile müssen sich messbar in seinem Vermögen befinden. Die bloß abstrakte Steuerschuldnerschaft ohne die Möglichkeit, die Steuerersparnis im eigenen Vermögen zu realisieren und in diesem Sinne über diese tatsächlich zu verfügen, genügt nicht zur Einziehung (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 73 Rz. 26a; Schott in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2020, § 370 AO Rz. 369; a.A. Bülte in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, Anh. III Rz. 9.).
BGH v. 6.4.2023 – 1 StR 36/23
3. Keine Einziehung des Wertes von Taterträgen bei nicht abgeführter Umsatzsteuer durch unberechtigten Steuerausweis
Wer als faktischer Geschäftsführer einer sog. Servicefirma auftragsgemäß Scheinrechnungen zur Ermöglichung von Schwarzlohnzahlungen durch die jeweiligen Rechnungskäufer erstellt, schuldet die ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 S. 2 UStG.
Zwar kann in den Fällen der Steuerhinterziehung die verkürzte Steuer das erlangte Etwas i.S.d. § 73 Abs. 1 StGB sein, weil sich der Täter die Aufwendungen für die jeweiligen Steuern erspart. Jedoch muss sich der Steuervorteil im Vermögen des Täters auch widerspiegeln. Denn nur dann hat der Täter durch die ersparten Aufwendungen wirtschaftlich etwas erlangt (vgl. bereits BGH v. 25.3.2021 – 1 StR 28/21, wistra 2021, 395 = AO-StB 2022, 17). In Fällen, in denen die geschuldete USt nicht aus einer Lieferung oder sonstigen Leistung resultiert, sondern ein unberechtigter Steuerausweis i.S.d. § 14c Abs. 2 S. 2 UStG ohne tatsächliche Leistung gegeben ist (vgl. hierzu Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, § 14c Rz. 11 ff. [Oktober 2022]), ist dies nicht der Fall. Eine Einziehung des Wertes der Taterträge kommt dann nicht in Frage.
BGH v. 2.5.2023 – 1 StR 77/23
4. Doppelbelastung durch Vermögensabschöpfung und Besteuerung
Zwar darf der Täter durch Vermögensabschöpfung und Besteuerung nicht doppelt belastet werden (vgl. u.a. BGH v. 5.9.2019 – 1 StR 99/19, wistra 2020, 24; Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 73 Rz. 13). Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Tatbeute und zugleich die vom Täter durch nachfolgende Steuerverkürzungen erzielte Ersparnis in Höhe der auf das Erlangte anfallenden Steuern abgeschöpft werden sollen. Dies trifft jedoch in den Fällen des § 14c Abs. 2 UStG nicht zu. Denn derjenige, dessen Steuerschuld sich nur aus dieser Vorschrift ergibt, erzielt keine abschöpfbaren Vermögensvorteile in der Form von Steuerersparnissen. Vielmehr soll § 14c Abs. 2 UStG der Gefährdung des Steueraufkommens durch die Ermöglichung unberechtigten Vorsteuerabzuges begegnen (vgl. hierzu Stadie, UStG, 2. Aufl. 2012, § 14c Rz. 2).
BGH v. 19.9.2023 – 1 StR 281/23
II. Verfolgungsverjährung (§ 78 Abs. 1, § 78c Abs. 1 StGB i.V.m. § 369 Abs. 2 AO)
Wenn wegen mehrerer Taten ermittelt wird, bezieht sich die Wirkung der Unterbrechung der Verjährung grds. auf alle verfahrensgegenständlichen Taten. Dies gilt jedoch nicht, wenn und soweit der erkennbare Verfolgungswille des tätig werdenden Strafverfolgungsorgans auf eine oder mehrere Taten beschränkt ist...