BFH- und FG-Entscheidungen
[Ohne Titel]
VorsRiLG Helmut Tormöhlen
Als Fortsetzung der Rechtsprechungsübersicht in AO-StB 5/2022 (Tormöhlen, AO-StB 2022, 158) werden wieder praxisrelevante FG- und BFH-Entscheidungen zum Thema Außenprüfung vorgestellt, die bisher noch nicht im AO-StB besprochen wurden.
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I. Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch die Betriebsprüfung (§ 162 AO)
1. Hinzuschätzungen anlässlich einer Betriebsprüfung bei einer Kapitalgesellschaft
Eine im Rahmen einer Betriebsprüfung einer Kapitalgesellschaft durchgeführte Geldverkehrsrechnung beim Gesellschafter-Geschäftsführer eröffnet keine Schätzungsbefugnis, um ungeklärte Vermögenszuwächse bei der Kapitalgesellschaft festzustellen. Wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer die Herkunft der bei ihm festgestellten ungeklärten Vermögenszuwächse nicht aufklärt, lässt dies i.d.R. keine nachteiligen Schlüsse zu Lasten der Kapitalgesellschaft zu. Aus der Tatsache, dass nicht aufgeklärt wird, woher der Gesellschafter-Geschäftsführer die von ihm aus seinem Privatbereich der Kapitalgesellschaft im Wege verdeckter Einlagen zugewandten Mittel erhalten hat, kann regelmäßig nicht gefolgert werden, dass die Kapitalgesellschaft zusätzliche Betriebseinnahmen in Höhe der verdeckten Einlagen erzielt hat (zu verdeckten Einlagen i.Allgem. BFH v. 20.1.2016 – II R 40/14, HFR 2016, 466; R 8.9 KStR 2022; Schoor in Papperitz/Keller, ABC Betriebsprüfung, Fach 6 Stichw. "Verdeckte Einlagen" Rz. 13 ff. [Juli 2022]).
Eine ordnungsgemäße Buchführung soll so ausgestaltet sein, dass Kasseneinnahmen und -ausgaben täglich festgehalten werden und dass in Betrieben mit offenen Ladenkassen ein täglicher Kassenbericht erstellt wird. Dabei muss die Entwicklung des Kassenbestandes in jedem Fall zweifelsfrei rekonstruierbar sein, um so die Kassensturzfähigkeit zu gewährleisten (vgl. u.a. BFH v. 20.3.2017 – X R 11/16, BStBl. II 2017, 992 = HFR 2018, 130; FG Münster v. 29.4.2021 – 1 K 2214/17 E,G,U,F, AO-StB 2022, 158; FG Hamburg v. 28.2.2020 – 2 V 129/19, EFG 2020, 891; Rätke in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, Rz. 23; zur Überprüfung von Schätzungen im gerichtlichen Verfahren vgl. Bruschke, AO-StB 2022, 394).
Eine pauschale Hinzuschätzung eines (Un-)Sicherheitszuschlags ist zulässig, wenn keine andere geeignete Schätzungsmethode ersichtlich ist, insb. eine Schätzung mittels Richtsatzsammlung mangels geeigneter Vergleichsdaten für das Gewerbe des Steuerpflichtigen ausscheidet (vgl. hierzu BFH v. 8.8.2019 – X B 117/18, HFR 2020, 325; BFH v. 14.12.2022 – X R 19/21, DStR 2023, 606; FG Hamburg v. 13.10.2020 – 2 K 218/18, EFG 2022, 834; ferner zur steuerstrafrechtrechtlichen Seite: BGH v. 20.12.2016 – 1 StR 505/16, StraFo 2017, 254 = HFR 2017, 970; BGH v. 11.3.2021 – 1 StR 521/20, NZWiSt 2021, 743).
FG Münster v. 18.5.2022 – 10 K 261/17 K,U
2. Keine Hinzuschätzungen bei ordnungsgemäßer Buchführung und keinem Anlass zu Zweifeln an deren sachlicher Richtigkeit
Für die formelle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung ist das Gesamtbild aller Umstände im Einzelfall maßgebend. Eine Pflicht zur Einzelaufzeichnung besteht aus Zumutbarkeitsgründen beim Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Kunden gegen Barzahlung nur, wenn der Steuerpflichtige eine elektronische Kasse verwendet. Dieser ist in der Wahl des Aufzeichnungsmittels jedoch frei und kann entscheiden, ob er seine Warenverkäufe manuell oder etwa mittels einer Registrierkasse erfasst.
Wenn der Steuerpflichtige eine vorhandene Registrierkasse in Veranlagungszeiträumen vor 2020 nur hilfsweise zur Überprüfung der Korrektheit seiner manuellen Aufzeichnungen, aber nicht als maßgebliches Instrument seiner Kassenbuchführung, genutzt hat und aus Zumutbarkeitsgründen keine Einzelaufzeichnungspflicht besteht, dann müssen die Bareinnahmen zumindest anhand eines Kassenberichts nachgewiesen werden, wobei jeweils vom gezählten Kassenendbestand bei Geschäftsschluss des Vortages auszugehen ist.
Die Vermutung der sachlichen Richtigkeit einer formell ordnungsgemäßen Buchführung kann allerdings durch eine Nachkalkulation widerlegt werden (vgl. hierzu BFH v. 26.6.1970 – IV 17/65, BStBl. II 1970, 838; Schoor in Papperitz/Keller, ABC Betriebsprüfung, Fach 3 Stichw. "Schätzung bei Betriebsprüfungen" Rz. 39.1. [März 2017]).
FG Köln v. 4.8.2022 – 3 K 2129/20
II. Hemmung der Festsetzungsverjährung durch Prüfungsmaßnahmen (§ 171 Abs. 4 AO)
1. Maßgeblichkeit der Prüfungsanordnung für die Ablaufhemmung
Wenn in der Prüfungsanordnung gegenüber einer Personenhandelsgesellschaft in der Formularzeile "Zu prüfende Steuerarten, Sachverhalte und Zeiträume" ausdrücklich nur eingetragen ist: "Gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus VuV 2007–2011" sowie "USt 2007–2011", dann tritt für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb keine Hemmungswirkung nach § 171 Abs. 4 S. 1 AO ein. Denn eine solche Ablaufhemmung greift nur, sofern Steueransprüche im Rahmen der Prüfungshandlungen geprüft werden, auf welche sich die Prüfungsanordnung erstreckt (vgl. BFH v. 25.1.1996 – V R 42/95, BStBl. II 1996, 338; Baum in Papperitz/Keller, ABC Betriebsprüfung, Fach 3 Stichw. "Festsetzungsverjährung" Rz. 73 [Oktober 2021]; Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 171 AO Rz. 106 ff. [April 2018]; Paetsch in Gosch, AO/...