1. Einführung
Das Urteil des BFH v. 17.11.2020 – I R 72/16 ist unter mehreren Gesichtspunkten bemerkenswert.
Zunächst ist es das einzige Urteil des BFH, welches dem Verfasser bekannt ist, das eine Fußnote aufweist. Der BFH zitiert grundsätzlich im Fließtext. Die Zitierung von Fritz Reinhardt, der einst die Grundsätze der Betriebsaufspaltung mit nationalsozialistischen Überlegungen begründete, veranlasst den I. Senat in einer Fußnote darauf hinzuweisen, dass dieses Zitat aus Gründen der Vollständigkeit erfolgt.
Das Urteil ist ferner bemerkenswert, da es Missbrauchsgedanken (Schmälerung der Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer [GewSt]) nicht mehr für die Rechtfertigung des Rechtsinstituts der Betriebsaufspaltung heranzieht. Der Missbrauchsgedanke hat m.E. das Rechtsinstitut der Betriebsaufspaltung zu keinem Zeitpunkt – weder in der Vergangenheit noch heute – gerechtfertigt. Die historische Missbrauchsargumentation bei Begründung der Grundsätze der Betriebsaufspaltung i.R.d. "Würdigung steuerrechtlicher Sachverhalte aus nationalsozialistischer Sicht" ist inakzeptabel.
Auch aus heutiger Sicht liegt kein Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO vor. Für die Aufteilung von Besitz- und Betriebsunternehmen lassen sich stets außersteuerliche Gründe anführen (Haftungsrecht, Nachfolgeplanung, Vermeidung von Publizitätspflichten).
2. Fiktion der originären Gewerblichkeit beim Besitzunternehmen aufgrund personeller Verflechtung?
Die Betriebsaufspaltung soll also nunmehr nach Auffassung sowohl des I. als auch des IV. Senats des BFH aufgrund der personellen Verflechtung
Gewerblichkeits-Fiktion allein wegen personeller Verflechtung wohl nicht möglich: Die Vermietungstätigkeit des Besitzunternehmens hebt sich nach Auffassung des BFH aufgrund der personellen Verflechtung von einer normalen Vermietung mit der Folge ab, dass hinsichtlich der Tätigkeit des Besitzunternehmens von einer originär gewerblichen Tätigkeit auszugehen ist. Unabhängig davon, ob und in welchem Umfang diese (originär) gewerbliche Qualifikation auf einem "monistischen Verständnis", d.h. nur auf Umständen in der Sphäre des Besitzunternehmens, oder in dem Bild der wirtschaftlichen Einheit von Besitz- und Betriebsunternehmen (dualistischer Ansatz) gründet, kann eine originär gewerbliche Tätigkeit des Besitzunternehmens m.E. nicht nur aufgrund des Vorliegens der Voraussetzung der personellen Verflechtung fingiert werden.
Abhebung von "normalen Vermietung"? Im Regelfall führen die Voraussetzungen der personellen Verflechtung nicht zu einem Sachverhalt, bei dem sich die Tätigkeit des Besitzunternehmens von einer "normalen Vermietung" abhebt. Dies gilt insbesondere, wenn lediglich eine funktional-wesentliche Betriebsgrundlage, z.B. das Betriebsgrundstück, überlassen wird. Eine besondere Ausrichtung oder Ausstattung dieser funktional-wesentlichen Betriebsgrundlage auf bzw. für den Betrieb wird von der Rechtsprechung schon lange nicht mehr gefordert.
Worin liegen dann aber die Umstände, die die Tätigkeit des Besitzunternehmens von einer normalen Vermietungstätigkeit abheben? Eine sich von einer normalen Vermietung abhebende Ausrichtung der Tätigkeit im Besitzunternehmen, d.h. der Überlassung der funktional-wesentlichen Betriebsgrundlage an das aktive Betriebsunternehmen, ist eben gerade nicht erforderlich – und auch in vielen Fällen in der Praxis nicht gegeben.
Beachten Sie: Insoweit nur aufgrund der Voraussetzung der personellen Verflechtung von einer Fiktion einer originär gewerblichen Tätigkeit auszugehen, verstößt gegen § 15 Abs. 2 EStG. Anders ist dies allenfalls bei einer Betriebsaufspaltung im Ganzen.
Darlegung und Nachweis durch Finanzverwaltung: Vielmehr sollte die Finanzverwaltung die Voraussetzungen einer aktiven "gewerblichen"Vermietung i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG, die sich von einer Vermietung i.S.d. § 21 EStG abhebt, nachweisen müssen.
3. Folgen des Urteils für die Praxis
Für die Praxis gilt bei Vorliegen der Voraussetzungen der Betriebsaufspaltung über die Grenze mit Besitzunternehmen im Inland Folgendes:
a) Anwendung inländischen Steuerrechts
Bei der Prüfung, ob ausländische Sachverhalte im Inland steuerliche Konsequenzen hervorrufen, kommt inländisches Steuerrecht zur Anwendung. Die Grundsätze der Betriebsaufspaltung sind nach der BFH-Rechtsprechung für die Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland auch dann zugrunde zu legen, wenn eine Betriebsaufspaltung über die Grenze in der Konstellation gegeben ist, dass
- die Besitzgesellschaft im Inland belegen ist und
- die Betriebsgesellschaft im Ausland.
Die im Inland steuerlich zu erfassende Besitzgesellschaft erzielt gewerbliche Einkünfte. Mangels Betriebstätte im Inland unterliegt die Betriebsgesellschaft nicht der inländischen GewSt. Obgleich die gewerbliche Tätigkeit ausschließlich unter der ausländischen Steuerhoheit entfaltet wird – und damit eine Minderung der Bemessungsgrundlage der inländischen GewSt nicht...