Leitsatz
1. Die im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG vorzunehmende Abgrenzung einer einheitlichen Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) ist anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse vorzunehmen.
2. Diese Gesamtwürdigung ist als eine im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet liegende Beurteilung revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Allerdings ist die Gesamtwürdigung materiell-rechtlich fehlerhaft, wenn die Tatsacheninstanz die maßgeblichen Umstände nicht vollständig oder ihrer Bedeutung entsprechend in ihre Überzeugungsbildung einbezieht.
Normenkette
§ 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 4 Sätze 2 und 3, § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 118 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Der Kläger ist Vater des 1995 geborenen Sohnes B, der bis Juni 2016 eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten absolvierte und anschließend mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden übernommen wurde. Der Arbeitgeber meldete B am 3.8.2016 zum nächstmöglichen Termin für die Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt (Verwaltungslehrgang II) an. Dieser soll Verwaltungsfachangestellte für eine qualifizierte Sachbearbeitung und die Übernahme von Führungsaufgaben befähigen. Der Unterricht wird freitags sowie an jedem zweiten Samstag erteilt. Zusätzlich findet in den Herbst- und Osterferien ganztägiger Blockunterricht statt. Der Lehrgang umfasst 1.050 Stunden Unterricht und sollte bis Juni/Juli 2019 dauern.
Die Familienkasse lehnte den Antrag auf Gewährung von Kindergeld ab November 2016 ab.
Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt und verpflichtete die Familienkasse, dem Kläger Kindergeld für B für November 2016 bis August 2018 zu bewilligen (FG Düsseldorf, Urteil vom 22.3.2019, 7 K 2386/18 Kg, Haufe-Index 13039021).
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies zurück, damit das FG die notwendige Tatsachengrundlage vervollständigt und eine erneute Gesamtwürdigung vornimmt.
Hinweis
1. Das Besprechungsurteil vermittelt keine neuen Erkenntnisse zur Abgrenzung einer mehraktigen Erstausbildung von einer berufsbegleitenden Zweitausbildung oder Weiterbildung, sondern wiederholt die bereits mehrfach dargelegten Grundsätze (BFH, Urteil vom 11.12.2018, III R 26/18, BFH/NV 2019, 465, BFH/PR 2019, 128, BStBl II 2019, 765).
2. Revisionsbegründungen sind leider nicht selten im Stil einer Berufungsbegründung gehalten: Statt vermeintliche Rechts- oder Verfahrensfehler aufzuzeigen, wird umfangreich ausgeführt, warum das FG Tatsachen und Beweise falsch gewürdigt habe. Mitunter wird gar dem im FG-Urteil festgestellten Sachverhalt widersprochen und dafür Beweis angeboten. Dabei wird verkannt, dass der BFH nach § 118 Abs. 2 FGO grundsätzlich an die Tatsachenfeststellung des FG gebunden ist, wenn diese verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist, also z.B. ohne Verletzung der Sachaufklärungspflicht oder Widerspruch zum Inhalt der Akten.
3. Das Besprechungsurteil behandelt einen praktisch eher seltenen Ausnahmefall von der Bindung nach § 118 Abs. 2 FGO: Fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Folgerungen in der tatrichterlichen Entscheidung oder fehlt die nachvollziehbare Ableitung dieser Folgerungen aus den festgestellten Tatsachen und Umständen, liegt ein Verstoß gegen die Denkgesetze vor.
Der BFH zählt auf, welche nach dem Urteil III R 26/18 für die Abgrenzung zwischen einheitlicher Erstausbildung und Zweitausbildung maßgeblichen Umstände das FG nicht festgestellt oder zwar festgestellt, aber nicht in die Würdigung einbezogen hat:
- Unbefristetes oder (auf welchen Zeitraum?) befristetes Beschäftigungsverhältnis?
- Nutzte das vollzeitbeschäftigte Kind die durch den ersten Abschluss erlangte Qualifikation, um eine dadurch eröffnete Berufstätigkeit auszuüben?
- Verhältnis der für die Ausbildung und der für die Erwerbstätigkeit aufgewandten Zeitanteile?
- Waren die Arbeitszeiten den im Lehrgang durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet oder orientierte sich die zeitliche Durchführung des Lehrgangs an den Erfordernissen eines regulären Arbeitsverhältnisses?
4. Die Sachverhaltswürdigung des FG braucht nicht zwingend zu sein, es genügt, wenn sie nur möglich ist. Der BFH rügt aber insoweit als nicht nachvollziehbar, dass die Anmeldung des Kindes durch den Arbeitgeber zum zweiten Ausbildungsabschnitt für eine einheitliche Erstausbildung sprechen soll, weil es auch bei langjährig in ihrem Beruf tätigen Arbeitnehmern nicht unüblich ist, dass sie durch ihren Arbeitgeber zu typischen Fortbildungen angemeldet werden; das FG spreche auch selbst von einer "Weiter- und Höherqualifikation" des Kindes.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.2.2020 – III R 28/19