Leitsatz
1. Die Durchführung eines Zeitreihenvergleichs setzt voraus, dass im Betrieb das Verhältnis zwischen dem Wareneinsatz und den Erlösen im betrachteten Zeitraum weitgehend konstant ist. Es darf zudem im maßgebenden Zeitraum nicht zu solchen Änderungen in der Betriebsstruktur gekommen sein, die – nicht anderweitig behebbare – wesentliche Unsicherheiten bei der Aufstellung und Interpretation des Zahlenwerks mit sich bringen.
2. Bei einer Buchführung, die formell ordnungsgemäß ist oder nur geringfügige formelle Mängel aufweist, kann der Nachweis der materiellen Unrichtigkeit grundsätzlich nicht allein aufgrund der Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs geführt werden.
3. Ist die Buchführung formell nicht ordnungsgemäß, sind aber materielle Unrichtigkeiten der Einnahmenerfassung nicht konkret nachgewiesen, können die Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs nur dann einen Anhaltspunkt für die Höhe der erforderlichen Hinzuschätzung bilden, wenn andere Schätzungsmethoden, die auf betriebsinternen Daten aufbauen oder in anderer Weise die individuellen Verhältnisse des jeweiligen Steuerpflichtigen berücksichtigen, nicht sinnvoll einsetzbar sind. Bei verbleibenden Zweifeln können Abschläge in einem Umfang geboten sein, der über eine bloße Abrundung hinausgeht.
4. Steht bereits aus anderen Gründen fest, dass die Buchführung sowohl formell als auch materiell unrichtig ist und übersteigt die nachgewiesene materielle Unrichtigkeit eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Bagatellschwelle, können die Ergebnisse eines – technisch korrekt durchgeführten – Zeitreihenvergleichs auch für die Ermittlung der erforderlichen Hinzuschätzung der Höhe nach herangezogen werden, sofern sich im Einzelfall keine andere Schätzungsmethode aufdrängt, die tendenziell zu genaueren Ergebnissen führt und mit vertretbarem Aufwand einsetzbar ist.
5. Bei einem programmierbaren Kassensystem stellt das Fehlen der aufbewahrungspflichtigen Betriebsanleitung sowie der Protokolle nachträglicher Programmänderungen einen formellen Mangel dar, dessen Bedeutung dem Fehlen von Tagesendsummenbons bei einer Registrierkasse oder dem Fehlen von Kassenberichten bei einer offenen Ladenkasse gleichsteht und der daher grundsätzlich schon für sich genommen zu einer Hinzuschätzung berechtigt.
Normenkette
§ 147 Abs. 1 Nr. 1, § 158, § 162 AO
Sachverhalt
Die Kläger betrieben eine Schank- und Speisewirtschaft. Der größte Teil der Bareinnahmen wurde über eine elektronische Registrierkasse abgerechnet. Daneben wurde für die Thekeneinnahmen eine von der Registrierkasse getrennte Barkasse geführt. In der Betriebsprüfung wurde neben anderen formellen Mängeln in der Kassenführung beanstandet, dass keine Programmierprotokolle der Registrierkasse vorgelegt wurden. Der Prüfer schätzte daraufhin die Erlöse anhand des sog. "Zeitreihenvergleichs". Die nach einem nur teilweise erfolgreichen Vorverfahren erhobene Klage hatte ebenfalls nur zu einem Teil Erfolg. Das FG war der Auffassung, der Zeitreihenvergleich stelle im Streitfall eine geeignete Schätzungsmethode dar (FG Münster, Urteil vom 26.7.2012, 4 K 2071/09 E, U, Haufe-Index 3340308, EFG 2012, 1982).
Entscheidung
Die Revision der Kläger war begründet und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache. Zwar habe das FG im Ergebnis zutreffend erkannt, dass wegen vorhandener Mängel in der Buchführung des Klägers dem Grunde nach eine Schätzungsbefugnis bestanden habe. Der Zeitreihenvergleich weise allerdings im Vergleich zu anderen Verprobungs- und Schätzungsmethoden besondere Problembereiche auf, die seine Anwendbarkeit sowohl dem Grunde nach als auch hinsichtlich der Übernahme des sich aus einem Zeitreihenvergleich ergebenden "Mehrergebnisses" als Betrag der Hinzuschätzung der Höhe nach einschränkten, was das FG nicht in vollem Umfang beachtet habe.
Hinweis
Dieses Urteil des X. Senats enthält zwei Aspekte, die in den künftigen Betriebsprüfungen eine erhebliche Rolle spielen dürften: Zum einen schränkt es den Einsatz des Zeitreihenvergleichs als Schätzungsmethode ein. Auf der anderen Seite weist der BFH aber ausdrücklich darauf hin, dass beim Einsatz eines programmierbaren Kassensystems bereits das Fehlen der hierfür aufbewahrungspflichtigen Unterlagen einen formellen Mangel darstellt, der zur Schätzung berechtigen kann.
1. Der Zeitreihenvergleich stellt im Grundsatz eine mathematisch-statistische Verprobungsmethode dar. Eine vielfach in Außenprüfungen – insbesondere bei der Prüfung von Gastronomiebetrieben – angewandte Variante des Zeitreihenvergleichs ist dadurch gekennzeichnet, dass für jede Woche eines Kalenderjahres sowohl der wöchentliche Wareneinsatz als auch der Betrag der wöchentlichen Einnahmen ermittelt wird. Aus dem Vergleich dieser beiden Größen ergibt sich für jede Woche ein Rohgewinnaufschlagsatz. Die Finanzverwaltung sieht dann den höchsten Rohgewinnaufschlagsatz, der sich für einen beliebigen Zehn-Wochen-Zeitraum des Kalenderjahres ergibt, als maßgebend für das Gesamtjahr an. Da...