Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
2.1.1 Funktions- und Risikoanalyse, Vergleichbarkeitsanalyse (§ 1 Absatz 1 BsGaV)
26 Für die steuerliche Zurechnung von Einkünften zu einer Betriebsstätte eines Unternehmens ist eine Funktions- und Risikoanalyse der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte als Teil des Unternehmens durchzuführen (§ 1 Absatz 1 BsGaV). Auf der Grundlage der Funktions- und Risikoanalyse werden die Betriebsstätte und das übrige Unternehmen so behandelt, als wären sie verbundene Unternehmen, die Funktionen ausüben, über Vermögenswerte verfügen, Risiken übernehmen sowie miteinander und mit anderen verbundenen und fremden Unternehmen Geschäfte tätigen (s. OECD-Betriebsstättenbericht, Teil I Tz. 10 und Tz. 13 bis Tz. 38).
27 Nach der Funktions- und Risikoanalyse ist für die Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte eine Vergleichbarkeitsanalyse durchzuführen (§ 1 Absatz 1 BsGaV), um für die Geschäftsvorfälle der Betriebsstätte mit nahestehenden Personen und mit dem übrigen Unternehmen Verrechnungspreise zu bestimmen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen (s. auch OECD-Betriebsstättenbericht, Teil I Tz. 39 bis Tz. 43). Für die Bestimmung der Verrechnungspreise sind alle innerstaatlichen und international anerkannten Verrechnungspreisregeln anwendbar (s. § 1 Absatz 3 AStG und OECD-Leitlinien), einschließlich der Grundsätze für Kostenumlagen (s. Rn. 5).
2.1.2 Gegenstand der Zuordnung (§ 1 Absatz 2 BsGaV)
28 Die Funktions- und Risikoanalyse ist die Grundlage dafür, der Betriebsstätte zu Beginn des Wirtschaftsjahrs und während des Wirtschaftsjahrs alle in § 1 Absatz 2 Nummer 2 bis 5 BsGaV aufgeführten Zuordnungsgegenstände zuzuordnen, die im konkreten Fall für die steuerliche Behandlung der Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen erforderlich sind (OECD-Betriebsstättenbericht, Teil I Tz. 15). Eine Zuordnung ist auch dann notwendig, wenn Zuordnungsgegenstände nicht als Bestandteile der Hilfs- und Nebenrechnung zu erfassen sind (s. Rn. 29). Grundlage und Ausgangspunkt für die Zuordnung auch solcher, nicht in der Hilfs- und Nebenrechnung zu erfassender Zuordnungsgegenstände sind die der Betriebsstätte zuzuordnenden Personalfunktionen, die eine solche Zuordnung funktional rechtfertigen (OECD-Betriebsstättenbericht, Teil I Tz. 15). Dies bedeutet umgekehrt, dass einer Betriebsstätte ein Zuordnungsgegenstand i.S.d. §§ 5 bis 10 BsGaV jedenfalls dann nicht (mehr) zugeordnet werden kann, wenn
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die Betriebsstätte hinsichtlich dieses Zuordnungsgegenstands keine Personalfunktionen ausübt und |
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zu diesem Zeitpunkt im übrigen Unternehmen Personalfunktionen ausgeübt werden, die eine Zuordnung zum übrigen Unternehmen rechtfertigen. |
29 Zu den Zuordnungsgegenständen gehören auch selbstgeschaffene immaterielle Werte unabhängig davon, ob sie in der Hilfs- und Nebenrechnung der Betriebsstätte oder in der Bilanz des Unternehmens als deren Bestandteile zu erfassen sind.
Fall – Erfassung selbstgeschaffener immaterieller Werte:
Unternehmen X (X) in Staat A hat eine Betriebsstätte B (B) in Staat B, deren Aufgabe die Herstellung und der Verkauf der Produkte von X ist. Bei der Produktion entwickelt B einen (technischen) immateriellen Wert, der zum Patent eingetragen wird. Der immaterielle Wert wird weder in der Bilanz von X noch in der Hilfs- und Nebenrechnung von B erfasst. Ein Jahr später überlässt B den immateriellen Wert dem übrigen Unternehmen zur (Mit-)Nutzung.
Lösung:
Der immaterielle Wert ist B zuzuordnen, weil B ihn geschaffen hat (§ 6 Absatz 1 BsGaV). Für die fiktive Nutzungsüberlassung an das übrige Unternehmen (§ 16 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe a BsGaV) ist ein dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechender Betrag (§ 16 Absatz 2 BsGaV) zu verrechnen. Das gilt unabhängig davon, ob der immaterielle Wert zu Recht weder in der Bilanz von X noch in der Hilfs- und Nebenrechnung von B als Bestandteil erfasst wird. Die Identifizierung des immateriellen Werts ist in jedem Fall sowohl für die Zuordnung der Betriebsausgaben, die in Zusammenhang mit der Schaffung des immateriellen Werts durch B stehen, als auch für die zutreffende Zuordnung und Bemessung der fiktiven Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben für B bzw. das übrige Unternehmen wegen der fiktiven Nutzungsüberlassung erforderlich.
30 Außerdem sind der Betriebsstätte auf der Grundlage ihrer Personalfunktionen Geschäftsvorfälle (§ 9 BsGaV) des Unternehmens, zu dem sie gehört, zuzuordnen.
31 Schließlich sind auf der Grundlage der jeweils ausgeübten Personalfunktionen die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen (§ 16 BsGaV) zu identifizieren, die jeweils zwischen einer Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen bestehen (OECD-Betriebsstättenbericht, Teil I Tz. 17). Die Fiktion schuldrechtlicher Beziehungen ist notwendig, weil zwischen einer Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen keine rechtlichen Beziehungen bestehen, die Grundlage für die eindeutige Zuordnung eines Zuordnungsgegenstands oder für die Vergütung einer Leistung wären.