Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
2.10.1 Zuordnung von Chancen und Risiken eines Vermögenswerts oder Geschäftsvorfalls (§ 10 Absatz 1 BsGaV)
117 Die Chancen und Risiken eines Vermögenswerts oder eines Geschäftsvorfalls sind nach § 10 Absatz 1 BsGaV der Betriebsstätte zuzuordnen, der der betreffende Vermögenswert oder Geschäftsvorfall nach den allgemeinen Zuordnungsregeln zuzuordnen ist (§§ 5 ff. BsGaV). Denn mit dem fiktiven Eigentum an einem Vermögenswert bzw. der Zuordnung eines Geschäftsvorfalls sind einer Betriebsstätte auch die damit im unmittelbaren Zusammenhang stehenden Chancen und Risiken zuzuordnen.
Fall – Zuordnung von Chancen und Risiken eines Vermögenswerts:
Unternehmen X in Staat A hat in Staat B eine Betriebsstätte B (B). Die Geschäftsleitungsbetriebsstätte in Staat A erwirbt eine Maschine, die ausschließlich und auf Dauer von B genutzt wird. Die Maschine wird durch die fehlerhafte Nutzung durch B zerstört.
Lösung:
Die Maschine ist nach § 5 Absatz 1 BsGaV wegen der Nutzung B zuzuordnen. Damit ist auch das Risiko des Untergangs B zuzuordnen.
2.10.2 Zuordnung von Chancen und Risiken aus der Geschäftstätigkeit (§ 10 Absatz 2 BsGaV)
118 Für Chancen und Risiken, die mit der unternehmerischen Geschäftstätigkeit im Zusammenhang stehen (nicht unmittelbar mit einem Vermögenswert oder Geschäftsvorfall), ist nach § 10 Absatz 2 Satz 1 BsGaV in erster Linie darauf abzustellen, in welcher Betriebsstätte die maßgebliche Personalfunktion ausgeübt wird, die zur Übernahme der betreffenden Chancen und Risiken durch das Unternehmen führt. Für die Geschäftstätigkeit können im Einzelfall verschiedene Chancen und Risiken von Bedeutung sein, z.B. Lagerrisiken, Ausfallrisiken, Wechselkursrisiken, Zinsrisiken, Marktrisiken, Haftungsrisiken (s. auch OECD-Betriebsstättenbericht, Teil I Tz. 22 und Tz. 68).
Fall – Zuordnung von Chancen und Risiken der unternehmerischen Geschäftstätigkeit:
Unternehmen X in Staat A hat in Staat B eine Betriebsstätte B (B). Die Geschäftsleitungsbetriebsstätte in Staat A überlässt B ein Wirtschaftsgut zur vorübergehenden Nutzung. Das Wirtschaftsgut bleibt dem übrigen Unternehmen zugeordnet. Die Nutzung durch B führt aufgrund einer Fehlbedienung durch B zu einem Haftungsfall gegenüber einem unabhängigen Dritten.
Lösung:
Da der Haftungsfall durch eine Fehlbedienung von B verursacht wurde (nicht durch einen Materialfehler der Maschine oder Ähnliches), sind die entsprechenden Kosten (z.B. Schadensersatz gegenüber dem unabhängigen Dritten oder Ersatzbeschaffung gegenüber dem übrigen Unternehmen) B zuzuordnen.
119 Wird eine Personalfunktion i.S.d. § 10 Absatz 2 Satz 1 BsGaV infolge einer Funktionsaufteilung (s. Rn. 42) gleichzeitig in mehreren Betriebsstätten ausgeübt, so ist nach § 10 Absatz 2 Satz 2 BsGaV für die Zuordnung der betreffenden Chancen und Risiken darauf abzustellen, in welcher Betriebsstätte die Personalfunktion mit der größten Bedeutung für die Übernahme der Chancen und Risiken ausgeübt wird. Diese Personalfunktion ist für die Zuordnung dieser Chancen und Risiken maßgeblich i.S.d. § 2 Absatz 4 BsGaV.
2.10.3 Abweichende Zuordnung von Chancen und Risiken (§ 10 Absatz 3 BsGaV)
120 Ist eine im übrigen Unternehmen ausgeübte andere Personalfunktion für die Zuordnung von Chancen und Risiken im Zusammenhang mit der unternehmerischen Geschäftstätigkeit so bedeutend, dass eindeutig eine Zuordnung erforderlich wird, die von § 10 Absatz 2 BsGaV abweicht (Personalfunktionenkonkurrenz, s. Rn. 43), so ist diese andere Personalfunktion für die betreffenden Chancen und Risiken maßgeblich i.S.d. § 2 Absatz 4 BsGaV. Die anderen Personalfunktionen können nach § 10 Absatz 3 Satz 2 BsGaV insbesondere die Risikosteuerung, die Realisation, die Entscheidung, Änderungen hinsichtlich von Chancen und Risiken vorzunehmen, oder die Verwaltung von Chancen und Risiken sein (s. auch Rn. 80), wenn diese Personalfunktionen im Einzelfall von besonderer Bedeutung für die Chancen und Risiken sind. Im Regelfall bleibt es bei der Zuordnung nach der Vermutungsregelung des § 10 Absatz 1 und 2 BsGaV (s. Rn. 117 und 118).
2.10.4 Gleichzeitige Ausübung anderer Personalfunktionen in verschiedenen Betriebsstätten (§ 10 Absatz 4 BsGaV)
121 Sind mehrere andere Personalfunktionen, die in anderen Betriebsstätten ausgeübt werden, von größerer Bedeutung für bestimmte Chancen und Risiken als die Personalfunktion, die in § 10 Absatz 2 Satz 1 BsGaV genannt ist (Personalfunktionenkonkurrenz, s. Rn. 43), so sind nach § 10 Absatz 4 BsGaV die Chancen und Risiken der Betriebsstätte zuzuordnen, in der die andere Personalfunktion mit der größten Bedeutung für die Chancen und Risiken ausgeübt wird. Diese andere Personalfunktion ist für die Zuordnung der betreffenden Chancen und Risiken maßgeblich i.S.d. § 2 Absatz 4 BsGaV.
2.10.5 Zuordnung in Zweifelsfällen (§ 10 Absatz 5 BsGaV)
122 Können Chancen und Risiken nach § 10 Absatz 1 bis 4 BsGaV mangels klarer Kriterien nicht eindeutig zugeordnet werden, räumt § 10 Absatz 5 BsGaV dem Unternehmen einen Beurteilungsspielraum für die Zuordnung der Chancen und Risiken ein. Die Zuordnung der Chancen und Risiken muss sich aber so weit wie möglich an den Grundsätzen des § 10 Absatz 1 bis 4 BsGaV orientieren. Ggf. greifen die Vermutungsregelungen des § 10 Absatz 1 und 2 BsGaV ein (s. Rn. 117, 118). Der Beurteilungsspielraum kommt vor allem in Fällen der Personalfunktionenkonkurrenz (s. Rn. 43) zwischen anderen Personalfunktionen i.S.d. § 10 Absatz 3 BsGaV in Betracht. Die Entscheidung ...