Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
4.2.1 Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstättensachverhalte
436 In § 1 Absatz 5 Satz 1 AStG ist erstmalig ausdrücklich und allgemein verbindlich im innerstaatlichen Recht geregelt, dass der Fremdvergleichsgrundsatz in Fällen von Unternehmen eines Staates mit Betriebsstätten in einem anderen Staat zur Berichtigung von Einkünften im Rahmen des § 1 AStG anzuwenden ist. Für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1. Januar 2013 beginnen, sind weiterhin die VWG Betriebsstätten von Bedeutung, die das bis zur Regelung in § 1 Absatz 5 AStG geltende Verständnis der Finanzverwaltung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes enthalten.
437 Allerdings ist nicht zu beanstanden, wenn ein Unternehmen die Grundsätze des § 1 Absatz 5 AStG schon für vor dem 1. Januar 2013 beginnende Wirtschaftsjahre anwendet, wenn
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die Regelungen für den ganzen Zeitraum ab dem früheren Zeitpunkt auf die Betriebsstätte angewendet werden und |
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dadurch international weder eine Doppelbesteuerung noch eine Nichtbesteuerung von Einkünften der Betriebsstätte entsteht. |
4.2.2 Fiktion eines eigenständigen und unabhängigen Unternehmens
438 Nach § 1 Absatz 5 Satz 2 und 3 AStG ist eine in einem anderen Staat gelegene Betriebsstätte grundsätzlich wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln (zu Einschränkungen, s. z.B. Rn. 3 ff. insbesondere Rn. 6 f.). Das bedeutet, dass eine Zuordnung und Aufteilung von Aufwendungen und Erträgen – entsprechend Artikel 7 Absatz 3 OECD-MA 2008 – in Wirtschaftsjahren, die nach dem 31. Dezember 2012 beginnen, grundsätzlich nicht mehr möglich ist (s. aber § 1 Absatz 5 Satz 8 AStG und insbesondere Rn. 430 ff. für dem OECD-MA entsprechende DBA mit Nicht-OECD-Mitgliedstaaten).
4.2.3 Geschäftsbeziehungen der Betriebsstätte als fiktiv eigenständiges und unabhängiges Unternehmen
439 Nach § 1 Absatz 5 Satz 3 Nummer 3 AStG sind der Betriebsstätte die Chancen und Risiken des Unternehmens, dessen Teil sie ist, zuzuordnen, die sie aufgrund der von ihr ausgeübten Funktionen und zuzuordnenden Vermögenswerte übernimmt. Damit sind in erster Linie die Geschäftsvorfälle des Unternehmens angesprochen, die der Betriebsstätte zu Beginn des Wirtschaftsjahrs, das nach dem 31. Dezember 2012 beginnt, zuzuordnen sind. Es liegt nahe, dass die Zuordnung der Geschäftsvorfälle entsprechend den ausgeübten Personalfunktionen (s. §§ 9 und 10 BsGaV) der Zuordnung entspricht, die schon vorher nach funktionalen Grundsätzen erforderlich gewesen ist.
440 Nach § 1 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 AStG sind Geschäftsvorfälle jeder Art zwischen dem übrigen Unternehmen und seiner Betriebsstätte möglich und als anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zu werten, wenn zwischen voneinander unabhängigen Dritten schuldrechtliche Beziehungen entstanden wären (s. auch Rn. 164 ff.). Das Unternehmen hat glaubhaft zu machen, dass voneinander unabhängige Dritte keine schuldrechtlichen Beziehungen vereinbart hätten, wenn es davon absehen will, solche Beziehungen anzunehmen.
4.3 Regelungen der BsGaV, die erst in Wirtschaftsjahren, die nach dem 31. Dezember 2014 beginnen, wirken
441 Die BsGaV ist erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2014 beginnen. Eine Anwendung der Grundsätze auf vorhergehende Wirtschaftsjahre ist nicht zu beanstanden. Soweit § 1 Absatz 5 AStG auslegungsfähige Begriffe enthält, ist auch der OECD-Betriebsstättenbericht zu berücksichtigen, denn es war ausdrückliche Vorstellung des Gesetzgebers (s. BT-Drs. 17/10000, S. 61), mit § 1 Absatz 5 AStG und anschließend mit der BsGaV die Grundlage dafür zu schaffen, den AOA innerstaatlich umzusetzen.
4.3.1 Definitionen (§ 2 BsGaV)
442 Soweit sich die Definitionen für bestimmte Begriffe in § 2 BsGaV nicht unmittelbar aus dem Wortlaut von § 1 Absatz 5 AStG ergeben, fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage, diese Definitionen zu verwenden. Diese Begriffe sind für die Jahre 2013 und 2014 entsprechend den Aussagen im OECD-Betriebsstättenbericht auszulegen.
4.3.2 Hilfs- und Nebenrechnung (§ 3 BsGaV)
443 § 1 Absatz 5 AStG enthält keine ausdrückliche Rechtsgrundlage, für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1. Januar 2015 beginnen, eine Hilfs- und Nebenrechnung nach den Regeln des § 3 BsGaV zu erstellen. Davon unabhängig besteht die allgemeine Verpflichtung, eine wahrheitsgemäße Steuerklärung abzugeben (§ 150 Absatz 2 AO), in der die betreffenden Betriebsstätteneinkünfte enthalten sind (z.B. steuerpflichtige inländische Einkünfte nach § 49 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe a EStG oder nach DBA freizustellende Einkünfte einer ausländischen Betriebsstätte). Die konkrete Einkünfteermittlung kann für die betreffende Betriebsstätte in jeder Form geschehen. Die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen nach § 90 AO, insbesondere die Aufzeichnungspflichten des § 90 Absatz 3 Satz 4 AO und der GAufzV (s. Rn. 63), sind zu beachten.
4.3.3 Zuordnungsregeln (§§ 4 bis 11 BsGaV)
444 § 1 Absatz 5 AStG enthält keine ausdrückliche Rechtsgrundlage dafür, wie einer Betriebsstätte konkret Personalfunktionen, Vermögenswerte usw. zuzuordnen sind. Die Vorschrift ordnet jedoch an,
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ausgehend von den ausgeübten Funktionen des Unternehmens festzustellen, welche Personalfunktionen von der Betriebsstätte ausgeübt werden, |
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davon ausgehend die Vermögenswerte des Unternehmens zu bestimmen, die der Betriebsstätte zuzuordnen sind, |
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ausgehend von den zuzuordnenden Personalfunktionen und Vermögenswerten die Chancen und Risiken des Unternehmens zu bestimmen, die der Betriebsstätt... |