Leitsatz
1. Die Erhöhung einer bereits laufenden gesetzlichen Altersrente durch einen Zuschlag an persönlichen Rentenentgeltpunkten für Kindererziehungszeiten ("Mütterrente") führt zu einer Anpassung des bisherigen steuerfreien Teils der Rente (Rentenfreibetrag). Hierbei bleiben zwischenzeitliche regelmäßige Rentenanpassungen außer Betracht.
2. Bezieht ein Steuerpflichtiger Altersrenten sowohl aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung als auch aus der gesetzlichen Rentenversicherung und kann er wegen Beitragszahlungen oberhalb des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung hinsichtlich der Rente aus der berufsständischen Versorgungseinrichtung zum Teil die Ertragsanteilsbesteuerung beanspruchen (sog. Öffnungsklausel), erstreckt sich dieses Recht nicht auch auf die Besteuerung der gesetzlichen Rente.
3. Der steuerfreie Teil der Rente nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 4 EStG ist ohne Berücksichtigung desjenigen Teils der Rentenleistungen zu berechnen, der auf Antrag des Steuerpflichtigen der Ertragsanteilsbesteuerung unterliegt (Anschluss an Senatsurteil vom 03.05.2017 ‐ X R 12/14, BFHE 258, 317, Rz 24 ff.).
4. § 127 FGO ist auch dann anwendbar, wenn ein geänderter Steuerbescheid nicht während des Revisionsverfahrens, sondern während des vorgelagerten Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde ergangen ist und gemäß § 121 Satz 1, § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden ist.
Normenkette
§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Sätze 1 bis 7, Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG, § 307d Abs. 1 SGB VI, Art. 3 Abs. 1 GG, § 68 Satz 1, § 121 Satz 1, § 127 FGO
Sachverhalt
Die zusammenveranlagten Kläger erhielten ab 2009 bzw. 2010 sowohl aus der gesetzlichen Rentenversicherung als auch aus einem berufsständischen Versorgungwerk Altersrenten. Im Streitjahr 2014 wurde die gesetzliche Rente der Klägerin aufgrund der sog. Mütterrente aufgestockt. Die Kläger beantragten die Anwendung der Öffnungsklausel, sodass aufgrund der Berechnungen des Versorgungswerks circa 20 % der von diesem gezahlten Renten der Ertragsanteilsbesteuerung unterworfen wurde. Die Kläger meinten, die Öffnungsklausel müsse auch für die gesetzliche Rente gelten. Zudem müsse bei der Berechnung des steuerfreien Teils der Rente auch der der Ertragsanteilsbesteuerung unterliegende Teil der Rente berücksichtigt werden. Die Berechnungsmethode des FA bei der Anpassung des steuerfreien Teils der Rente aufgrund des Bezugs der sog. Mütterrente sei ebenfalls falsch. Einspruch und Klage hatten nur geringfügigen Erfolg (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.11.2019, 6 K 1514/19).
Entscheidung
Die Revision der Kläger war aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen erfolglos.
Hinweis
1. In diesem Urteil bestätigt der BFH zunächst seine Rechtsprechung zur Anwendung der sog. Öffnungsklausel gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG beim Zusammentreffen von zwei Altersrenten, die darauf beruhen, dass der Steuerpflichtige in zwei Altersversorgungssysteme Beiträge eingezahlt hat (s. BFH, Urteil vom 17.11.2015, X R 40/13, BFH/NV 2016, 388).
Zur Beantwortung der Frage, ob der Höchstbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung im jeweiligen Jahr überschritten wurde, sind die jährlichen Beiträge beider Versorgungssysteme zusammenzurechnen. Weil sich die anteilige Besteuerung nach den Regeln der Öffnungsklausel aber auf die einzelne Rente bezieht, muss der auf Beiträgen oberhalb des Betrags des Höchstbeitrags beruhende Teil der Leistung für jeden einzelnen Rentenanspruch getrennt ermittelt werden.
Die Frage, welche Beiträge im Konkurrenzfall als oberhalb des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet anzusehen sind, hat der BFH so entschieden, dass bis zum Höchstbeitrag zunächst die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als verwendet gelten. Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung dienen damit als eine Art "Sockel" für die hierauf aufbauenden Beiträge an eine berufsständische Versorgungseinrichtung. Der BFH hat dies mit dem Gesetzeszweck und der Gesetzeshistorie begründet und hält auch weiterhin daran fest.
2. Ebenfalls bestätigt der BFH seine bisherige Rechtsprechung zur Ermittlung des steuerfreien Teils der Rente gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 4 EStG (vgl. BFH, Urteil vom 3.5.2017, X R 12/14, BFH/NV 2017, 1485).
Danach ist in einem ersten Schritt der Anteil der Rente zu ermitteln, auf den die vom Steuerpflichtigen beantragte Öffnungsklausel anzuwenden ist. Dieser Anteil ist mit dem Ertragsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 4 EStG der Besteuerung zu unterwerfen. Der verbleibende Teil der Rente, der nicht auf diesen Beiträgen beruht, – und nur dieser – wird in einem zweiten Schritt mit dem Besteuerungsanteil des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG besteuert.
Grund für diese Gesetzesauslegung ist der nach Ansicht des BFH eindeutige Gesetzeswortlaut, das systematische – auf gegenseitigem Ausschluss beruhende...