Leitsatz
Eine in Deutschland lebende Polin, die weder im Rahmen ihrer in Deutschland ausgeübten gewerblichen Tätigkeit versichert noch in ihrem Herkunftsland sozial- und krankenversichert ist, unterfällt nicht dem persönlichen Anwendungsbereich der EWG-Verordnung Nr. 1408/71.
Sachverhalt
Die Klägerin ist Polin und übt im Inland eine selbständige Erwerbstätigkeit aus. Auf Antrag der Klägerin hat die Familienkasse (FK) zunächst für die in Polen bei ihrem Vater lebenden Kinder das hälftige Kindergeld gewährt und auf die EWG-VO Nr. 1408/71 verwiesen. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren beantragt die Klägerin mit ihrer Klage die Gewährung von Kindergeld von jeweils 154 EUR abzüglich des gewährten polnischen Kindergeldes. Die FK vertritt die Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Anrechnung der polnischen Familienleistungen nicht vorliegen, weil der Ehemann nicht erwerbstätig gewesen sei.
Entscheidung
Das FG hat die Klage als unbegründet zurückgewiesen. Nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG wird Kindergeld für Kinder, für die vergleichbare Leistungen im Ausland gezahlt werden, nicht gewährt. Dieser Tatbestand ist im Streitfall erfüllt. Ein Ausschluss der Anwendung dieser Vorschrift aufgrund der EWG-VO Nr. 1408/71 ist im Streitfall nicht anzunehmen, da der persönliche Geltungsbereich der EWG-VO 1408/71 bezogen auf die Klägerin nicht eröffnet ist. Grund ist, dass sie wegen der fehlenden Versicherung weder in Polen noch in Deutschland als Arbeitnehmer und/oder Selbständige i. S. des Art. 1a der EWG-VO 1408/71 gilt. Die Tatsache, dass der Ehemann wegen fehlender Antragstellung in Polen teilweise keine Familienleistungen bezogen hat, kann zu keiner anderen Beurteilung führen. Durch Verzicht auf eine Antragstellung in einem vorrangig zuständigen Mitgliedstat kann kein Anspruch in einem nachrangigen Staat begründet werden. Die polnischen Familienleistungen schließen den Kindergeldanspruch der im Inland gewerblich tätigen Klägerin für die in Polen lebenden Kinder aus.
Hinweis
Die wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassene Revision wurde eingelegt und wird beim BFH unter dem Az. III R 1/13 geführt. Die Vorschriften zur Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit der EWG-VO Nr. 1408/71 führten in letzter Zeit zu zahlreichen Verfahren bei den FG, bei denen es in der Regel um die Gewährung des Kindergelds geht. In diesen Verfahren - welche teilweise zu Gunsten und teilweise zu Lasten der Kindergeldberechtigten entschieden wurden - haben die FG ebenfalls die Revisionen zugelassen mit der Folge, dass eine Fülle von Verfahren beim BFH anhängig sind (z. B. III R 2/13, III R 4/13, III R 7/13, III R 8/13, III R 10/13, III R 11/13, III R 18/13, V R 63/10, V R 64/10, V R 11/13, XI R 28/12, XI R 55/10, XI R 56/10).
Link zur Entscheidung
FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.12.2012, 4 K 4176/06 B