Leitsatz
Führt ein Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge, die aus Sicht des Arbeitnehmers zu Unrecht einbehalten wurden, an die Einzugsstelle ab, kann der Arbeitnehmer im Regelfall eine Erstattung nur von dieser, nicht aber vom Arbeitgeber beanspruchen.
Normenkette
§ 26, § 28g Satz 3, § 28h, § 28i SGB IV, § 17a GVG, § 276 BGB
Sachverhalt
Der beim Land L beschäftigte Kläger ließ sich ein angespartes Arbeitszeitkonto mit Eintritt in die Rente verzinslich auszahlen. Arbeitgeber L unterwarf auch die auszuzahlenden Zinsen dem Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen und führte diese an die Einzugsstelle ab. Vor dem ArbG forderte der Kläger von L die Rückzahlung dieser Beträge. Mit rechtskräftigem Beschluss verwies das ArbG auf Antrag des L den Rechtsstreit an das FG. L war der Ansicht, dass es sich bei den Zinsen aus Wertguthaben um Einnahmen aus nicht selbstständiger Tätigkeit handele, mithin ausschließlich steuerrechtliche Angelegenheiten betroffen seien.
Das FG gab der Klage teilweise statt. Der Kläger habe gegen L einen Anspruch auf Auszahlung der zu Unrecht einbehaltenen Sozialversicherungsbeiträge wegen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten: Die Auszahlung der Zinsen hätte ohne den Einbehalt von Sozialversicherungsbeiträgen erfolgen müssen, da es sich bei den Zinsen nicht um sozialversicherungspflichtiges Einkommen gehandelt habe. Die Zinszahlung sei nicht mehr zusätzliche Entlohnung für die frühere Tätigkeit, sondern Gegenleistung für die langfristige Überlassung der Nutzung des Kapitals. Der Kläger habe einen Schadenersatzanspruch auf Auszahlung der fehlerhaft einbehaltenen Sozialversicherungsbeiträge nach § 280 i.V.m. §§ 611 ff. BGB, weil das Festhalten an irrigen Auffassungen und die Nichteinholung von Auskünften als Verstoß gegen die verkehrsübliche Sorgfalt i.S.v. § 276 BGB anzusehen seien.
Entscheidung
Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen.
1. Rechtsweg zum FG
Eine Prüfung seitens des BFH, ob das FG zu Recht aufgrund des Verweisungsbeschlusses den Finanzrechtsweg als zulässig angesehen hat, hat nicht stattgefunden. Nach § 17a Abs. 5 GVG untersucht das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, grundsätzlich nicht die Zulässigkeit des Rechtswegs. Darüber hinaus ist der Verweisungsbeschluss des ArbG nach § 48 ArbGG i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG für das FG bindend. Eine Ausnahme besteht nur, wenn der Beschluss offensichtlich unhaltbar ist und sich in willkürlicher Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt.
2. Keine Anspruchsgrundlage gegen L
Der Kläger hat nach Auffassung des BFH gegen L keinen Anspruch auf Rückzahlung der abgeführten Sozialversicherungsbeiträge.
a) Kein Vergütungsanspruch
Ein noch offener Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber L wegen ungerechtfertigter Abführung der Sozialversicherungsbeiträge besteht nicht: Das Land hat mit dem Einbehalt und der Abführung an die Einzugsstelle seine Zahlungspflicht gegenüber dem Kläger erfüllt. Dies gilt nur dann nicht, wenn für den Arbeitgeber aufgrund der für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar war, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand. Daran fehlt es im Streitfall. Im Übrigen wäre insoweit – ohne Verweisungsbeschluss – grundsätzlich noch das ArbG zuständig.
b) Kein Schadenersatzanspruch
Im Gegensatz zur Entscheidung des FG (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 10.12.2013, 4 K 1638/10, Haufe-Index 7262647, EFG 2014, 1973) verneint der Senat auch das Vorliegen der Voraussetzung für einen Schadenersatzanspruch des Klägers gegen seinen Arbeitgeber. Das Bestehen eines solchen Anspruchs gegen das Land kann nach Meinung des BFH nicht daraus abgeleitet werden, dass sich das Land vor dem Einbehalt der Sozialversicherungsbeiträge nicht bei der zuständigen (§§ 28h, 28i SGB IV) Einzugsstelle über das Bestehen einer Beitragspflicht für die Zinsen erkundigt bzw. eine Entscheidung der Einzugsstelle nach § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV beantragt hat. Denn eine Pflichtverletzung, die in einer Unterlassung besteht, ist für den Schaden nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte. Den vom FG getroffenen Feststellungen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass das Land L den Einbehalt unterlassen hätte, wenn es bei der zuständigen Einzugsstelle zuvor entsprechende Erkundigungen eingeholt oder eine Entscheidung nach § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV beantragt hätte.
3. Anspruch gegen die Einzugsstelle
Der Kläger ist daher auf die Möglichkeit beschränkt, die Beitragserstattung bei der für ihn zuständigen Einzugsstelle nach § 26 Abs. 2 Halbsatz 1 SGB IV zu fordern. Erstattungsgläubiger wäre gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB IV der Kläger, der die Beiträge dadurch getragen hat, dass sie von seinem Arbeitslohn abgezogen worden sind. Eine vierjährige Verjährungsfrist ist zu beachten, § 27 Abs. 2 und 3 SGB IV. Dieser Anspruch gegen die Einzugsstelle wäre erforderlichenfall...