Leitsatz
1. Bei der Ableitung des gemeinen Werts aus stichtagsnahen Verkäufen (§ 11 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BewG) ist ein nach dem Bewertungsstichtag geminderter Kaufpreis maßgebend, wenn bereits am Bewertungsstichtag die Voraussetzungen eines Minderungsrechts objektiv vorhanden waren und die Minderung auch später tatsächlich vollzogen worden ist.
2. § 103 Abs. 2 BewG findet auf die Ermittlung des gemeinen Werts nicht notierter Anteile gem. § 11 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BewG keine Anwendung.
Normenkette
§ 11 Abs. 2 S. 2, § 103 Abs. 2 BewG vor 2009
Sachverhalt
Eine GmbH beantragte, der Anteilsbewertung auf den 31.12.1994 den Kaufpreis zugrunde zu legen, den einer ihrer Gesellschafter im Juni 1994 für den Erwerb mehrerer Geschäftsanteile gezahlt hatte. Dem entsprach das FA. 1997 verlangte die GmbH eine Minderung des festgestellten Werts mit der Begründung, der Kaufpreis sei 1995 reduziert worden. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass mit dem Anteilserwerb ein Gewinnausschüttungsanspruch übergegangen sei, den der erwerbende Gesellschafter zum 31.12.1994 bilanziert habe. Um diesen Anspruch sei der gezahlte Kaufpreis gem. § 103 Abs. 2 BewG zu kürzen.
FA und FG (FG Berlin, Urteil vom 05.10.2005, 6 K 6338/01, Haufe-Index 1906756) lehnten dies ab. Das FG meinte, aus der Sicht eines gedachten Erwerbers hätten zum Bewertungsstichtag keine Erkenntnisse vorgelegen, die den verlangten Abschlag rechtfertigen könnten. § 103 Abs. 2 BewG sei im vorliegenden Zusammenhang unanwendbar.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache zurück. Der Erkenntnisstand eines (gedachten) Erwerbers am Bewertungsstichtag sei unerheblich. Maßgebend sei vielmehr, ob an diesem Stichtag ein Anspruch auf Minderung des zugrunde gelegten Kaufpreises objektiv bestanden habe. Dies sei aufzuklären. Die Auffassung des FG zur Anwendbarkeit des § 103 Abs. 2 BewG wurde dagegen bestätigt.
Hinweis
1. Soweit die vorliegende Entscheidung zu § 11 Abs. 2 S. 2 BewG a.F. ergangen ist, sind die Ausführungen des BFH auch nach Inkrafttreten des ErbStRG weiterhin von Bedeutung. Die Änderungen der Vorschrift durch Art. 2 Nr. 2 ErbStRG betreffen – von dem Zusatz "unter fremden Dritten" abgesehen, der durchaus eine Änderung darstellt – nicht die Ableitung aus Verkäufen.
2. Dem Anliegen der Kapitalgesellschaft, eine erst nach dem Bewertungsstichtag vorgenommene Kaufpreisminderung zu berücksichtigen, konnte wegen des Stichtagsprinzips nur entsprochen werden, wenn sich die Minderung auf den Stichtag zurückbeziehen ließ. Dies war nur möglich, wenn bereits am Stichtag ein Rechtsanspruch auf Minderung begründet war. Davon braucht dem Berechtigten am Stichtag noch nichts bekannt gewesen zu sein. Es genügt vielmehr, dass am Stichtag ein Mangel vorgelegen hat, der den Käufer zur Kaufpreisminderung berechtigt hat. Diese Minderung muss dann allerdings auch tatsächlich vollzogen worden sein. Die Feststellungslast dafür, dass der zum Vergleich herangezogene Kaufpreis aufgrund eines Rechts zu Minderung gekürzt worden ist, trägt der Steuerpflichtige. Dazu gehört im Zweifel auch der Nachweis, dass die tatsächlichen Voraussetzungen einer Minderung vorgelegen haben.
3. Der entgeltliche Erwerb eines GmbH-Geschäftsanteils stellt einen Rechtskauf dar. Auf ihn finden gem. § 453 BGB in der Fassung vom 01.01.2002 die Vorschriften über den Sachkauf entsprechende Anwendung. Was das bedeutet, kann im Einzelfall zweifelhaft sein. Der Verkäufer ist jedenfalls verpflichtet, den Geschäftsanteil frei von Sach- und Rechtsmängeln zu übertragen. Ein Rechtsmangel liegt etwa vor, wenn bei einem als voll einbezahlt verkauften Geschäftsanteil die Einlage nicht geleistet ist, wenn die Angaben über die Gewinnbeteiligung oder Stimmrechte falsch sind oder wenn sich die GmbH in Liquidation oder in der Insolvenz befindet. Ob und inwieweit Mängel einzelner im Gesellschaftsvermögen befindlicher Gegenstände als Mangel des Geschäftsanteils angesehen werden können, ist fraglich, wird aber bei entsprechender Beschaffenheitsvereinbarung für möglich gehalten (MünchKommBGB/H. P. Westermann, 5. Aufl., § 453 Rd.Nr. 20).
4. § 103 Abs. 2 BewG ist für die Anteilsbewertung ohne Bedeutung. Das Problem der Doppelbelastung, das durch die Vorschrift ausgeräumt werden soll, stellt sich nur bei den anteilsbesitzenden Gesellschaften, nicht aber bei der Gesellschaft, an der die zu bewertenden Anteile bestehen. Für den Erwerber solcher Anteile sind die zu erwartenden Gewinnausschüttungen ein den Kaufpreis beeinflussender Faktor.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.01.2009 – II R 43/07