Leitsatz
1. Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten erfordert zusätzlich die Außerordentlichkeit dieser Einkünfte. Hierfür ist im Falle der Kapitalisierung von Altersbezügen entscheidend, dass eine solche Zusammenballung der Einkünfte in dem betreffenden Lebens-, Wirtschafts- und Regelungsbereich nicht dem typischen Ablauf entspricht. Ob darüber hinaus in dem konkreten Vertrag die Möglichkeit einer Kapitalabfindung bereits von Anfang an vorgesehen war oder nicht, hat demgegenüber nur indizielle Bedeutung.
2. Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Kapitalabfindungen von Kleinbetragsrenten aus Altersvorsorgeverträgen kann in der Zeit vor dem Inkrafttreten des § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG nicht allein mit der Begründung verneint werden, eine solche Kapitalisierungsmöglichkeit sei in dem betreffenden Altersvorsorgevertrag von Anfang an vorgesehen gewesen.
Normenkette
§ 22 Nr. 5 Sätze 1 und 13, § 34 Abs. 2 Nr. 4, § 93 Abs. 3 EStG
Sachverhalt
Der Kläger schloss mit einem Anbieter einen Vertrag über eine sog. Riesterrente ab. In den Vertragsbedingungen hieß es: "Würde bei gleichmäßiger Verrentung des bis zu Beginn der Auszahlungsphase angesammelten Kapitals eine monatliche Rente resultieren, die 1 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV nicht übersteigt, kann die Bank das Kapital zu Beginn der Auszahlungsphase förderunschädlich an den Sparer auszahlen." 2013 teilte der Anbieter dem Kläger mit, der Vertrag falle unter diese Kleinbetragsrentenregelung und zahlte dem Kläger eine Kapitalabfindung aus. Der Teilbetrag, der auf geförderten Eigenleistungen des Klägers sowie Zinsen beruhte, wurde vom FA gemäß § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG in vollem Umfang besteuert. Der Kläger meinte, dieser Betrag sei gemäß § 34 Abs. 1, 2 EStG ermäßigt zu besteuern, da die Kapitalabfindung weder vertragsgemäß noch typisch gewesen sei. Die Klage hatte keinen Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.1.2018, 7 K 7032/16, Haufe-Index 11562123, EFG 2018, 558).
Entscheidung
Die Revision war aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen begründet. Da das FG zur Atypik der Kapitalabfindung einer "Riester-Kleinbetragsrente" keine Feststellungen getroffen hatte, war die Sache noch nicht entscheidungsreif, sodass sie zurückverwiesen wurde.
Hinweis
Das Besprechungsurteil erläutert, unter welchen Voraussetzungen die Kapitalabfindung einer sog. Riester-Kleinbetragsrente gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4 EStG ermäßigt besteuert werden kann.
1. Der BFH hat bereits entschieden, dass die einmalige Kapitalabfindung eines Anspruchs auf laufende Altersbezüge grundsätzlich als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten anzusehen ist. Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes erfordert jedoch zusätzlich die "Außerordentlichkeit" dieser Einkünfte. Dies dient der Einschränkung des eher weit geratenen Wortlauts des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG.
2. Nach R 34.4 Abs. 1 Satz 3 EStR 2012 setzt die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes in den Fällen des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG bei Einkünften, die nicht solche aus nichtselbstständiger Arbeit sind, zusätzlich voraus, dass eine Zusammenballung von Einkünften eintritt, die nicht dem vertragsgemäßen oder dem typischen Ablauf entspricht.
3. Für den Bereich der Altersbezüge hat der BFH bereits entschieden, dass Kapitalauszahlungen der Basisversorgung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG begünstigt sind, wenn die Geltendmachung einer solchen Abfindung zwar vertrags- bzw. satzungsgemäß, im Hinblick auf die Charakteristik der Basisversorgung (erste Schicht des sog. Drei-Schichten-Modells) aber gleichwohl atypisch ist.
Demgegenüber sind die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG nicht erfüllt, wenn ein inländischer Pensionsfonds der betrieblichen Altersversorgung (zweiten Schicht des sog. Drei-Schichten-Modells) ein unbeschränktes Kapitalwahlrecht bereits im ursprünglichen Vertrag vorsieht und zusätzlich vorgetragen wird, dieses Kapitalwahlrecht sei für die Attraktivität der betrieblichen Altersversorgung unbedingt erforderlich.
4. Damit steht letztlich das Kriterium der Atypik im Vordergrund. Ob darüber hinaus in dem konkreten Vertrag die Möglichkeit einer Kapitalabfindung bereits von Anfang an vorgesehen war oder nicht, stellt sich danach als ein Indiz dar, das allenfalls gewisse Rückschlüsse darauf zulassen mag, ob eine Kapitalabfindung im betreffenden Lebens-, Wirtschafts- und Regelungsbereich typisch oder atypisch ist; sie ist aber nicht allein von entscheidender Bedeutung.
5. Bei der sog. Riesterrente steht allein der Umstand, dass die Möglichkeit der Kapitalisierung einer Kleinbetragsrente von Anfang an im Altersvorsorgevertrag vorgesehen war, der Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG nicht zwingend entgegen. Vielmehr ist entscheidend, ob die Kapitalisierung laufender Rentenansprüche im Bereich der Altersvorsorgeverträge (§§ 82 ff. EStG) als atypisch anzusehen ist.
6. In Bezug auf die Beurteilung einer Atypik einer Kapitalabfindung einer Riesterrente ist nicht allein auf die Teilmen...