1 Systematische Einordnung
Mit Gesetz vom 21.12.2019 ist in das deutsche Steuerrecht eine Meldepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen eingeführt worden. Damit hat der deutsche Gesetzgeber die entsprechende europäische Richtlinie umgesetzt. Die Regelung trat in Deutschland zum 1.7.2019 in Kraft. Erläutert wird die gesetzliche Regelung durch ein BMF- Schreiben v. 29.3.2021. Da die Meldepflicht auf einer Richtlinie beruht, sind die Tatbestände, die zu einer Meldepflicht führen, vorgegeben. Deutschland hätte zwar weitere Tatbestände aufnehmen können, da insoweit eine Verschärfung der Regelung möglich ist, hat dies aber nicht getan.
Eine Meldepflicht für rein nationale Steuergestaltungen besteht derzeit in Deutschland nicht.
2 Inhalt
2.1 Erfasste Steuern, grenzüberschreitende Gestaltung
Die Meldepflicht besteht sowohl für sog. Intermediäre und für Nutzer und umfasst grenzüberschreitende Steuergestaltungen. Wesentliche von der Meldepflicht erfasste Steuern sind die Ertragsteuern (Einkommen-, Körperschaft-, Gewerbesteuer) sowie Erbschaft-/Schenkungsteuer, Grunderwerbsteuer, Grundsteuer. Nicht erfasst werden die Umsatzsteuer, Zölle, Kirchensteuer sowie steuerliche Nebenleistungen und Gebühren. Eine Gestaltung ist dabei jeder bewusste Schaffensprozess, der eine Situation bewusst und aktiv herbeiführt oder verändert für den Nutzer der Gestaltung. Demgegenüber ist das bloße passive Abwarten z. B. von Haltefristen nicht erfasst. Ebenfalls nicht erfasst sind bloße rechtliche Würdigungen eines Sachverhalts oder Verrechnungspreisanpassungen, die durch den Fremdvergleichsgrundsatz geboten sind.
Eine Steuergestaltung wird dann als grenzüberschreitend angesehen, wenn mindestens ein EU-Staat und ein anderer Staat betroffen sind (§ 138d Abs. 2 AO). Dabei muss nicht Deutschland einer dieser Staaten sein. Die Betroffenheit kann sich dabei aus jeder Tätigkeit in dem Staat ableiten.
2.2 Kennzeichen
Entsprechend der Richtlinie unterteilt auch das deutsche Recht in Kennzeichen mit (§ 138e Abs. 1 AO) und ohne (§ 138e Abs. 2 AO) sog. Relevanztest (§ 138d Abs. 2 Nr. 3 lit. a AO). Kennzeichen mit Relevanztest sind:
- Mandatsvereinbarungen mit Vertraulichkeitsklauseln, die die Offenlegung gegenüber anderen Beratern oder der Finanzverwaltung untersagen oder unter ein pauschales Zustimmungserfordernis stellen (Nr. 1 lit. a);
- erfolgsabhängige Vergütungen (Nr. 1 lit. b), die aber in Deutschland im Regelfall berufsrechtlich schon nicht erlaubt sind;
- Nutzung von standardisierten Strukturen oder Dokumenten (Nr. 2), wobei aber Standardverträge wie Lizenzverträge, Darlehensverträge, Standard-Leasingverträge oder Verträge zur Gesellschaftsgründung ausgenommen sind;
- "missbräuchliche"Verlustnutzung (Nr. 3 lit. a), wobei in Deutschland die steuerliche Verlustnutzung ohnehin nur sehr eingeschränkt möglich ist;
- Umwandlung in nicht oder niedrig besteuerte Einkünfte bzw. Vermögen (Nr. 3 lit. b);
- zirkuläre Transaktionen (Nr. 3 lit. c);
- Zahlung an ein steuerbefreites (Nr. 3 lit. d), verbundenes Unternehmen, wobei ein Steuersatz von über 4 % unschädlich ist;
- Zahlung an ein verbundenes Unternehmen, welches als Empfänger steuerbefreit ist oder präferiert besteuert wird (Nr. 3 lit. e); dies gilt auch bei sog. Präferenzregime (z. B. IP Boxen), Erlass oder Verzicht. Nicht erfasst ist eine Steuerfreiheit aufgrund einer Verrechnung der Einkünfte mit Verlusten.
Diese Kennzeichen führen nur dann zu einer Meldepflicht, wenn der sog. Relevanztest erfüllt ist. Dieser ist definiert, dass ein "verständiger Dritter unter Berücksichtigung aller wesentlichen Fakten und Umstände vernünftigerweise erwarten kann, dass zumindest einer der Hauptvorteile die Erlangung eines steuerlichen Vorteils gem. § 138d Abs. 3 AO ist." Da die Definition sehr viele unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, die auch durch das BMF-Schreiben nicht konkretisiert werden, ist eine Vermeidung der Meldepflicht durch Verneinung des Relevanztests rechtssicher kaum möglich. Ein Steuervorteil soll bei jeder Senkung der Steuerlast (Rückzahlung, Verringerung oder Verhinderung der Steueransprüche) sowie einer zeitlichen Verschiebung eines Steueranspruchs vorliegen. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Steuervorteil auch tatsächlich eintritt. Der Steuervorteil muss auch nicht in Deutschland eintreten.
Eine Meldepflicht, ohne dass ein steuerlicher Vorteil intendiert sein muss, besteht in den folgenden Fällen:
- Das verbundene Unternehmen als Zahlungsempfänger ist nirgends oder in einer sog. Steueroase ansässig (Nr. 1 lit. a).
- Für ein Vermögenswert wird in verschiedenen Staaten eine Abschreibung geltend gemacht (Nr. 1 lit. b) aa); dies gilt allerdings nicht, wenn zur Vermeidung einer etwaigen Doppelbesteuerung die sog. Anrechnungsmethode Anwendung findet.
- Einkünfte oder Vermögen werden in mehr als einem Staat zur Vermeidung der Doppelbesteuerung freigestellt und es kommt somit zu einer Nichtbesteuerung (Nr. 1 lit. b) bb). Eine Freistellung von Dividenden soll...