Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. Tritt ein Arbeitgeber Ansprüche aus einer von ihm mit einem Versicherer abgeschlossenen Rückdeckungsversicherung an den Arbeitnehmer ab und leistet der Arbeitgeber im Anschluss hieran Beiträge an den Versicherer, sind diese Ausgaben Arbeitslohn.
2. Durch eine Anzeige des Arbeitgebers nach § 41c Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird der Anlauf der Festsetzungsfrist für die Lohnsteuer gegenüber dem Arbeitnehmer gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gehemmt.
Normenkette
§§ 41c Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2, 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 EStG, § 2 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 LStDV, §§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 1, 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO
Sachverhalt
Der Arbeitnehmer K hatte von seiner Arbeitgeberin A die Zusage einer Alters- und Berufsunfähigkeitsrente, zu deren Rückdeckung A gegen jährlich Versicherungsprämien von 96.152 DM eine Versicherung abgeschlossen hatte. Für den Fall der Berufsunfähigkeit von K war Beitragsfreistellung vereinbart. K und A hoben 1990 das Arbeitsverhältnis auf; A verpflichtete sich, die Versicherungsbeiträge weiterhin zu zahlen, und trat an K alle Ansprüche aus der Rückdeckungsversicherung ab. Im April 1991 teilte K mit, er sei seit Februar 1991 berufsunfähig. K beanspruchte gegenüber A und dem Versicherer V die Berufsunfähigkeitsrente und führte dazu gegen V einen Zivilprozess, der im Jahr 2000 rechtskräftig zugunsten von K entschieden wurde. A entrichtete während des Prozesses weiterhin die Versicherungsbeiträge an V. Im August 1993 zeigte A die Nichtabführung der LSt dem FA an. Das FA behandelte die von A im Streitjahr 1992 gezahlten Versicherungsprämien als steuerpflichtigen Lohn und erließ an K im Januar 1997 einen LSt-Nachforderungsbescheid. Die Klage des K war erfolgreich (FG des Saarlandes, Urteil vom 26.1.2011, 1 K 1159/07, Haufe-Index 2729680).
Entscheidung
Der BFH hob aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab.
Hinweis
Das Besprechungsurteil entwickelt die bekannten Prinzipien zur Besteuerung von Zukunftssicherungsleistungen im Falle der Einbeziehung Dritter (vgl. dazu BFH, Urteil vom 11.12.2008, VI R 9/05, BFH/NV 2009, 474, BFH/PR 2009, 135) für die Abtretung einer Rückdeckungsversicherung fort.
1. Modellhaft liegt Lohn dann vor, wenn sich der Vorgang – wirtschaftlich betrachtet – so darstellt, als ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Mittel zur Verfügung stellt und der Arbeitnehmer sie für seine Zukunftssicherung verwendet. Der Grundfall dafür: Der Arbeitnehmer hat gegen die Versorgungseinrichtung, an die der Arbeitgeber die Beiträge leistete, einen unentziehbaren Rechtsanspruch auf die Leistung. Das ist typischerweise gerade bei der Direktversicherung so, bei der sich der Arbeitgeber verpflichtet, die Beiträge einzubehalten und abzuführen, der Arbeitnehmer selbst aber bezugsberechtigt ist.
2. Die Rückdeckungsversicherung ist das Gegenbeispiel. Hier hat der Arbeitgeber gleichsam nur für sich selbst Aufwendungen, um sich die Mittel zur Leistung einer dem Arbeitnehmer zugesagten Versorgung zu sichern und zu verschaffen.
3. Im Streitfall hier wurde die Rückdeckungsversicherung zu einer Direktversicherung. Denn mit der Abtretung der Rückdeckungsversicherung durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer bleibt der Arbeitgeber zwar verpflichtet, zugunsten des Arbeitnehmers die Beiträge einzubehalten und abzuführen; jetzt aber ist der Arbeitnehmer selbst aus der Versicherung berechtigt. Mit Abtretung werden die Beitragsleistungen des Arbeitgebers an den Versicherer wie bei einer Direktversicherung erbracht. Dementsprechend sind die Arbeitgeberleistungen als Arbeitslohn zu beurteilen. Unerheblich war insoweit, dass der Arbeitnehmer berufsunfähig und daher der Versicherungsvertrag beitragsfrei wurde. Denn der Arbeitgeber hatte dem Arbeitnehmer dennoch die Mittel zur Verfügung gestellt.
4. Keine Verjährung: Die LSt für 1992 zugeflossenen Lohn ist 1997 nur verjährt (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1 AO), wenn keine Fristhemmung (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) greift. Hier musste der Arbeitgeber nach § 41c Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG die Nichtabführung der LSt anzeigen. Das tat er im August 1993; deshalb begann die Festsetzungsfrist erst 1994 zu laufen; dies gilt ungeachtet dessen, dass die Anzeige vom Arbeitgeber und nicht vom Arbeitnehmer als dem Schuldner der LSt (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG, § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG) selbst abzugeben ist. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO personalisiert nicht und bezweckt außerdem, bei Verstoß gegen Erklärungs-, Steueranmeldungs- oder Anzeigepflichten dem FA entsprechend Zeit zu belassen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 5.7.2012 – VI R 11/11