Dr. Madelaine Isabelle Baade
Wucher ist eine besondere Ausprägung des sittenwidrigen Verhaltens. Unter den Begriff des Wuchers fällt ein Rechtsgeschäft, durch das jemand sich oder einem Dritten Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen. Als Grund für die Nichtigkeit der Vereinbarung wegen eines Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung kommen dabei sowohl ein Verstoß gegen den strafrechtlichen Wuchertatbestand gemäß § 134 BGB i. V. m. § 291 StGB als auch ein Verstoß gegen die guten Sitten gemäß § 138 BGB in Betracht. Innerhalb des § 138 BGB ist zwischen dem speziellen Wuchertatbestand des Absatzes 2 und dem wucherähnlichen Tatbestand im Rahmen der Generalklausel des Absatzes 1 zu unterscheiden. Sowohl der spezielle Straftatbestand als auch der zivilrechtliche Lohnwucher nach § 138 Abs. 2 BGB und das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB setzen ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus.
Speziell der Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB setzt sich aus einer objektiven und einer subjektiven Komponente zusammen.
In objektiver Hinsicht erfordert § 138 Abs. 2 BGB ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Dieser objektive Tatbestand ist speziell in den Fällen der sogenannten Lohnwucherei gegeben, wenn der Arbeitnehmer für eine bestimmte, in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht nicht völlig unbedeutende Arbeitsleistung eine unangemessen niedrige Entlohnung erhält. Einen Anhaltspunkt bietet regelmäßig der für eine vergleichbare Tätigkeit zu zahlende Tariflohn. Allerdings reicht allein die Unterschreitung des Tariflohns noch nicht aus. Vielmehr muss ein auffälliges Missverhältnis zum allgemeinen Lohnniveau für vergleichbare Tätigkeiten vorliegen. Fraglich ist natürlich, wo die Grenze liegt. Diese kann nicht abstrakt und generell, sondern nur durch eine Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls ermittelt werden. In der Rechtsprechung wird ein Lohn von etwa 1/3 unter Tarif als Lohnwucher angesehen.
Wuchertatbestände
Nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Hagen ist die Wuchergrenze noch nicht überschritten, wenn der Arbeitnehmer ca. 26 % weniger Lohn erhält, als ihm tariflich zustehen würde.
Wird hingegen eine "Praktikantin" in einem als Praktikum bezeichneten Rechtsverhältnis mehr als 6 Monate lang wie eine vergleichbare Arbeitnehmerin im Pflegedienst eines Krankenhauses eingesetzt, so liegt kein Praktikanten-, sondern ein Arbeitsverhältnis vor. Die für diesen Arbeitsvertrag getroffene Abrede der Unentgeltlichkeit ist wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 und 2 BGB jedenfalls dann unwirksam, wenn die Arbeitnehmerin sich für den Arbeitgeber erkennbar lediglich deshalb zur unentgeltlichen Arbeitsleistung bereitgefunden hat, weil sie sich davon einen Ausbildungsplatz erhoffte.
Zum Tatbestand des Wuchers gehört allerdings auch die subjektive Komponente. Diese besteht darin, dass der Wucherer die beim anderen Teil bestehende Schwächesituation (Zwangslage, Unerfahrenheit, mangelndes Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche) ausgebeutet hat.
Eine Zwangslage ist insbesondere dann gegeben, wenn durch wirtschaftliche Bedrängnis oder Umstände anderer Art für den Betroffenen ein zwingendes Bedürfnis nach einer Geld- oder Sachleistung entsteht. Die früher von der einschlägigen Rechtsprechung der damaligen Formulierung des Gesetzestextes abgeleitete Beschränkung auf Fälle existenzgefährdender wirtschaftlicher Not ist durch die neue Fassung des Gesetzestextes überholt. Danach ist ausreichend, aber eben auch erforderlich, dass dem Betroffenen schwere Nachteile drohen. In diesem Zusammenhang reicht z. B. allein der Umstand, dass ein Arbeitnehmer nach längerer Zeit der Arbeitslosigkeit die Gelegenheit hatte, einen Arbeitsplatz zu erlangen, nicht aus, um von einer Zwangslage im vordefinierten Sinne sprechen zu können. Es bedarf vielmehr eines Vergleichs der wirtschaftlichen und finanziellen Situation des Arbeitnehmers, wie sie sich mit und ohne Annahme des Arbeitsvertrags darstellt bzw. darstellen würde. Wobei allerdings die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen. So lässt sich kaum etwas dagegen einwenden, dass das Landesarbeitsgericht Mainz die Zwangslage darin gesehen hat, dass die Arbeitnehmerin für den Arbeitgeber erkennbar sich lediglich deshalb zur unentgeltlichen Arbeitsleistung bereitgefunden hat, weil sie sich davon einen Ausbildungsplatz erhofft hatte.
Wucher bei verwerflicher Gesinnung
Da es sich bei dem Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB um einen Unterfall der Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB handelt, kann ein Rechtsgeschäft, bei dem die subjektive Komponente des Wuchers i. S. d. § 138 Abs. 2 BGB nicht verwirklicht ist, gleichwohl gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein, wenn der aus dem Rechtsgeschäft Begünstigte aus verwerflicher Gesinnung gehandelt hat oder sonst anstößige Umstände vorliegen. Dies bedeutet in der Praxis, dass die Gerichte...