Michele Schwirkslies, Dipl.-Finw. (FH) Wilhelm Krudewig
Voraussetzung ist immer, dass der Raum ausschließlich oder nahezu ausschließlich zu betrieblichen und/oder beruflichen Zwecken genutzt wird. Das bedeutet, dass die Abgrenzung nicht immer ganz einfach ist. Obwohl der für Notfälle eingerichtete Behandlungsraum einer Ärztin nicht vorwiegend der Erledigung gedanklicher, schriftlicher oder verwaltungstechnischer Arbeiten dient, hat das Finanzgericht Münster entschieden, dass es sich um ein häusliches Arbeitszimmer handelt. Nach Auffassung des Finanzgerichts Münster dürfen die Aufwendungen, die für den Behandlungsraum entstehen, nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden. Der Raum erfüllt nicht das Merkmal der "leichten Zugänglichkeit". Aus diesem Grund nimmt das Finanzgericht eine schädliche private Mitnutzung an.
Erreichbarkeit eines Raums bei Publikumsverkehr
Eine Augenärztin, die an einer Gemeinschaftspraxis beteiligt ist, hat zur Behandlung von Notfällen im Keller ihres privaten Wohnhauses einen Behandlungsraum eingerichtet. Der Raum ist nur vom Flur des Wohnhauses aus erreichbar. Die Klägerin wollte die Kosten für den Behandlungsraum als Sonderbetriebsausgaben im Rahmen der Feststellungserklärung der Gemeinschaftspraxis geltend machen. Das Finanzamt lehnte dies ab, weil der Raum ein häusliches Arbeitszimmer darstelle.
Das Finanzgericht ließ den Betriebsausgabenabzug nicht zu, weil eine schädliche private Mitnutzung vorliege. Denn die Patienten müssen, um in den Notbehandlungsraum im Keller zu gelangen, zunächst den Eingangsbereich des Hauses und einen Teil des Flures im Erdgeschoss durchqueren. Es gibt nur eine Haustür, die ohne gesonderten Flur in das Erdgeschoss führt, wo sich außer der Treppe zum Keller das Schlafzimmer der Klägerin, das Wohnzimmer, die Küche und ein Gäste-WC befinden. Nach dem Betreten des Flures im Erdgeschoss müssen die Patienten, um in den Notbehandlungsraum zu gelangen, die Treppe zum Keller benutzen und im Keller nochmals einen Flur durchqueren, der nicht nur zum Notbehandlungsraum führt, sondern zu weiteren privat genutzten Räumen.
Bei einer Werkstatt, einem Tonstudio und einem Warenlager spielt es keine Rolle, wie der abgeschlossene Raum erreicht wird. Eine private Mitnutzung scheidet aus, weil hier anders als bei einer ärztlichen Notfallpraxis kein Publikumsverkehr stattfindet. Das Finanzgericht stellt also bei einer Tätigkeit mit Publikumsverkehr entscheidend auf die leichte Zugänglichkeit ab.
Das BMF folgte der Einschränkung des Finanzgerichtes nicht. Das Finanzgericht hatte die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (BFH, Az. VIII R 11/17). Der BFH entschied in seinem Urteil vom 29.1.2020 zugunsten der Klägerin.
Der BFH lehnte die Ansicht des Finanzgerichts aufgrund rechtsfehlerhafter Annahme, dass die Aufwendungen der Klägerin für den in ihrem privaten Wohnhaus gelegenem Notfallbehandlungsraum dem Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG unterliegen, ab. Der BFH stellte weiterhin fest, dass es sich bei dem Notbehandlungsraum um einen betriebsstättenähnlichen Raum handelt und deshalb die von der Klägerin hierfür getragenen Aufwendungen in vollem Umfang als Betriebsausgaben abziehbar sind.
Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts ist der Abzug der Aufwendungen für die Herrichtung des Notfallbehandlungsraumes nicht nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG abzulehnen. Der BFH wies offen darauf hin, dass das Finanzgericht bei der erforderlichen Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls im Zusammenhang mit der Prüfung der Frage, ob der Notfallbehandlungsraum dem Typus nach dem häuslichen Arbeitszimmer zuzuordnen ist oder ein betriebsstättenähnlicher Raum vorliegt, die Anforderungen, die an das Merkmal der leichten Zugänglichkeit zu stellen sind, überspannt hat.