Leitsatz
Das FA ist im Rahmen der ertragsteuerrechtlichen Gewinnermittlung auch dann nicht an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der vom Steuerpflichtigen aufgestellten Bilanz (und deren einzelnen Ansätzen) zugrunde liegt, wenn diese Beurteilung aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung vertretbar war.
Normenkette
§ 4 Abs. 2, § 5 EStG, § 243 Abs. 1 HGB; Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, betreibt ein Mobilfunkunternehmen. Im Streitjahr (1996) bot sie ihren Kunden den verbilligten Erwerb eines Mobiltelefons für den Fall an, dass diese einen Mobilfunkdienstleistungsvertrag (MFD-Vertrag) mit einer Laufzeit von mindestens 24 Monaten abschlossen oder einen bestehenden Vertrag entsprechend verlängerten. Die Preisermäßigung für das Mobiltelefon war von dem Hersteller und dem Gerätetyp sowie von der Höhe der monatlichen Grundgebühren im Rahmen des abgeschlossenen MFD-Vertrags abhängig.
Das FA war der Auffassung, zwischen den MFD-Verträgen und den Kaufverträgen über die Mobiltelefone bestehe eine wirtschaftlich enge Verknüpfung i.S.v. Vertragsbündelungen. Die durch die verbilligte Abgabe entstandene Betriebsvermögensminderung sei daher gem. § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG im Rahmen eines aktiven Rechnungsabgrenzungspostens (RAP) periodengerecht über die Laufzeit des MFD-Vertrags abzugrenzen.
Die deswegen erhobene Klage hat das FG Düsseldorf als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 20.5.2008, 6 K 3224/05 K, F, Haufe-Index 2030252, EFG 2008, 1607).
Entscheidung
Der I. Senat beabsichtigte, in einer Endentscheidung dem FA und dem FG zu folgen; es sei ein aktiver RAP für die verbilligte Abgabe der Mobilfunkgeräte zu bilden.
Jedoch sei es im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung "subjektiv" in Einklang mit den GoB gut vertretbar gewesen, anderes anzunehmen. Und so gesehen sei das FA eigentlich daran gehindert, nun im Nachhinein im Rahmen einer Bp die Bilanzansätze zu ändern. Dieses Ergebnis "schmeckte" dem I. Senat aber nicht, und das gab ihm Anlass, den Großen Senat des BFH zu einer Grundsatzantwort anzurufen.
Dieser hat die ihm vorgelegte Frage so beantwortet, wie das aus dem Leitsatz und den Praxis-Hinweisen ersichtlich wird.
Nunmehr ist das Verfahren in der "Hauptsache" vom I. Senat weiter zu betreiben.
Hinweis
1. Der I. Senat des BFH hatte den Großen Senat des BFH mit Vorlagebeschluss vom 7.4.2010, I R 77/08 (Haufe-Index 2334357, BFH/NV 2010, 1339, BFH/PR 2010, 282) zur Klärung einer bilanzsteuerrechtlichen Grundsatzfrage angerufen, die der Praxis "auf den Nägeln brennt":
a) Für die Beurteilung, ob eine beim FA eingereichte Bilanz "fehlerhaft" in dem Sinne ist, dass sie vom Steuerpflichtigen nachträglich berichtigt werden kann, gilt nach der Rechtsprechung des BFH ein subjektiver Maßstab, der sog. subjektive Fehlerbegriff.
Maßgeblich ist danach grundsätzlich der Kenntnisstand eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns zum Bilanzstichtag. Das hat zur – dem Steuerpflichtigen durchweg nachteiligen – Folge, dass er eine Steuerbilanz nicht nachträglich (gem. § 4 Abs. 2 S. 1 EStG) berichtigen darf, wenn er erst nach Aufstellung der Bilanz ansatzbeeinflussende Tatsachenerkenntnisse erlangt, etwa zu der Bonität einer aktivierten Forderung.
Dasselbe gilt bislang für Rechtsfragen: Der Steuerpflichtige kann nicht von einem ihm an sich günstigen höchstrichterlichen Urteil profitieren, das nach Bilanzaufstellung ergeht – das jedenfalls solange und soweit nicht, wie sich der von ihm zunächst gewählte Bilanzansatz im Rahmen eines vertretbaren Verständnisses der GoB bewegt hat. Er hätte vielmehr "aktiv" ein Prozessverfahren betreiben müssen, um eine höchstrichterlich bis dato noch ungeklärte Bilanzierungsfrage in seinem Sinne durchzufechten. "Trittbrettfahren" ist hingegen nicht möglich, auch dann nicht, wenn die betreffenden Steuerbescheide unter Vorbehaltsvermerk stehen.
Die Finanzverwaltung ist dieser Spruchpraxis gefolgt (R 4.4 Abs. 1 S. 1 bis 5 EStR 2009; BMF, Schreiben vom 11.3.2008, BStBl I 2008, 496). Ihr genügt es allerdings, wenn der Steuerpflichtige seine gegenteilige Rechtsauffassung durch Zusätze oder Vermerke bei Bilanzaufstellung dokumentiert hat.
b) Daran knüpfte die Grundsatzanrufung des I. Senats an:
Er wollte zwar prinzipiell an dem (auch als solchen nicht ganz unumstrittenen) subjektiven Fehlerbegriff festhalten, diesen jedoch auf reine Tatfragen verengen und Rechtsfragen davon ausnehmen. Tragende Gründe dafür waren ihm (u.a.):
- Gerade bei Rechtsfragen entscheidet im (Steuer-)Eingriffsrecht die objektive Rechtslage und damit ein objektiver Beurteilungsmaßstab.
- Andernfalls ergibt sich ein Quasi-Wahlrecht des Steuerpflichtigen, bis an die Grenze des ihm Günstigen, soeben noch Vertretbaren bei der Bilanzaufstellung zu gehen.
- Dadurch schafft der Steuerpflichtige ggf. Fakten, die eine "Versteinerung" der gewählten Bilanzansätze herbeiführen, auch wenn diese sich später als gesetzeswidrig herausstellen. Das aber bedingt im Ergebnis nicht die (erwün...