Leitsatz
Der Rechtsgrund für eine Erstattung von Umsatzsteuer wird auch dann im insolvenzrechtlichen Sinne bereits mit der Leistung der entsprechenden Vorauszahlungen gelegt, wenn diese im Fall einer nicht erkannten Organschaft zunächst gegen die Organgesellschaft festgesetzt und von dieser auch entrichtet worden sind.
Normenkette
§ 96 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 InsO, § 37 Abs. 2, § 73, § 226, § 251 Abs. 3 AO, §§ 387 ff. BGB, § 241 Abs. 1 ZPO
Sachverhalt
Im Streitfall ging es um die Befugnis des FA, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit einer Haftungsforderung gegen einen steuerlichen Erstattungsanspruch der Insolvenzschuldnerin aufzurechnen.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter der GmbH, über deren Vermögen im Dezember des Streitjahres 2011 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Ende Dezember 2011 meldete das FA Umsatzsteuerforderungen für September 2011 sowie die Umsatzsteuer-Jahressteuer 2011 i.H.v. insgesamt ca. 51.000 EUR zur Insolvenztabelle an. Der Kläger bestritt die Forderungen und wies darauf hin, dass nach seiner Einschätzung zwischen der GmbH und dem Einzelunternehmen B eine umsatzsteuerliche Organschaft mit der GmbH als Organgesellschaft bestehe. Das FA erließ gleichwohl entsprechende Feststellungsbescheide nach § 251 Abs. 3 AO.
Später folgte das FA dieser Einschätzung und hob die zuvor erlassenen Feststellungsbescheide wieder auf.
In der Folgezeit machte das FA P (Betriebsstätten-FA des Organträgers B) die GmbH für die von B nicht entrichtete – aus der Organschaft herrührende – Umsatzsteuer nach § 73 AO i.H.v. ca. 276.000 EUR haftbar und meldete jenen Betrag zur Insolvenztabelle an.
Das FA verrechnete sodann durch Umbuchungsmitteilung vom 30.5.2014 die von der GmbH für 2011 bereits gezahlte Umsatzsteuer i.H.v. 122.212,81 EUR mit der vom FA P angemeldeten Haftungsschuld, soweit sich diese auf die von dem Organträger für Oktober und November 2011 geschuldete Umsatzsteuer bezog.
Mit dem streitgegenständlichen Abrechnungsbescheid bestätigte das FA die Verrechnung. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Thüringer FG, Urteil vom 16.3.2017, 1 K 512/15, Haufe-Index 11663797, EFG 2018, 1009). Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, der sich auf das Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO beruft.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
Gegenstand des Streitfalls ist ein Abrechnungsbescheid. Dabei geht es um die Frage, ob das FA als Insolvenzgläubiger aufrechnen konnte oder ob dieser Aufrechnung § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegenstand.
Maßgeblich ist, wann der Erstattungsanspruch entsteht, wenn Umsatzsteuer-Vorauszahlungen geleistet wurden, obwohl eine umsatzsteuerliche Organschaft bestand. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist.
Ob ein Insolvenzgläubiger vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, bestimmt sich nach der BFH-Rechtsprechung danach, ob der Tatbestand, der den betreffenden Anspruch begründet, nach steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht wird.
Auch für den Erstattungsanspruch kommt es darauf an, ob sämtliche materiell-rechtliche Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteil vom 15.1.2019, VII R 23/17, BFH/NV 2019, 493, BFH/PR 2019, 144, BStBl II 2019, 329; BFH, Urteil vom 12.6.2018, VII R 19/16, BFH/NV 2018, 1131, BFH/PR 2018, 287 und BFH, Urteil vom 8.11.2016, VII R 34/15, BFH/NV 2017, 702, BFH/PR 2017, 203, BStBl II 2017, 496, m.w.N.).
Ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO aufgrund zu hoher bzw. nicht geschuldeter Vorauszahlungen entsteht bereits im Zeitpunkt der Entrichtung der jeweiligen Vorauszahlung unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Ende des Besteuerungszeitraums die geschuldete Steuer geringer ist als die Vorauszahlung (vgl. BFH, Urteil vom 20.9.2016, VII R 10/15, BFH/NV 2017, 442, Rz. 18, m.w.N.). Demnach wird der Rechtsgrund für eine Erstattung von Einkommensteuer (auch) im insolvenzrechtlichen Sinne bereits mit der Leistung der entsprechenden Vorauszahlungen gelegt (vgl. BFH, Urteil vom 28.2.2012, VII R 36/11, BFH/NV 2012, 1022, BFH/PR 2012, 253, BStBl II 2012, 451). Für Umsatzsteuer-Vorauszahlungen gilt das gleichermaßen (vgl. BFH, Urteil vom 31.5.2005, VII R 74/04, BFH/NV 2005, 1745).
Das muss erst recht für den vorliegenden Fall gelten, in dem die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen wegen der unerkannten Organschaft von vornherein ohne Rechtsgrund geleistet worden waren.
Auf die formelle Bescheidlage kommt es dagegen nicht an. Weder müssen die Steuerfestsetzungen oder -anmeldungen aufgehoben noch der Erstattungsanspruch festgesetzt werden. Insolvenzrechtlich reicht es aus, dass der zur Entstehung des Erstattungsanspr...