Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche gelten nach § 226 Abs. 1 AO grundsätzlich die Vorschriften des BGB. Allerdings ist die Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat.
Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Unternehmerin. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens war im März 2010 erfolgt.
Das Finanzamt verrechnete ein Guthaben aus der bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzung 2006 mit bereits zur Tabelle angemeldeten, festgestellten Insolvenzforderungen. Der Kläger vertrat die Auffassung, dass die Aufrechnung unzulässig sei, weil die Steueransprüche auf insolvenzrechtlich anfechtbaren Rechtshandlungen beruhten.
Das Finanzamt erließ in der Folge einen Abrechnungsbescheid, in dem es von der Wirksamkeit der Aufrechnung ausging. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein, der überwiegend erfolglos blieb.
Entscheidung
Das FG hat dem Finanzamt recht gegeben und entschieden, dass die Aufrechnung nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen nicht ausgeschlossen ist.
Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen, kann der Insolvenzverwalter nach § 129 Abs. 1 InsO nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO anfechten. Anfechtbar ist nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.
Nach diesen Grundsätzen war die Aufrechnung mit dem aus der Berichtigung von Vorsteuer nach § 17 UStG resultierenden Anspruch auf die Umsatzsteuervorauszahlung 2/2010 steuerrechtlich zulässig und wirksam. Die Aufrechnung war auch nicht nach insolvenzrechtlichen Gründen ausgeschlossen, da das Finanzamt den Anspruch auf Umsatzsteuervorauszahlung 2/2010 nicht durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Der Anspruch des Finanzamts resultierte vielmehr aus der gesetzlich gebotenen Vorsteuerberichtigung nach § 17 UStG. Durch welche Rechtshandlung das Finanzamt den in Rede stehenden Anspruch sonst erlangt haben könnte, ist nicht ersichtlich.
Hinweis
Der Begriff der Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. InsO ist weit auszulegen. Als Rechtshandlung kommt jede Handlung in Betracht, die zum Erwerb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führt, d. h. ein von einem Willen getragenes Handeln, das rechtliche Wirkungen auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann. Erfasst werden nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen und Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimisst.
Im Streitfall hat der BFH auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hin die Revision zugelassen, Az beim BFH VII R 23/20. Der BFH wird nun darüber zu befinden haben, ob das Finanzamt vorliegend nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen einen Erstattungsanspruch der Insolvenzmasse mit anderen Steueransprüchen aufrechnen durfte und ob es die Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne von 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO erlangt hat. Wäre dies der Fall, wäre die Aufrechnung unzulässig.
Link zur Entscheidung
FG Nürnberg, Urteil v. 14.05.2019, 2 K 798/15