Leitsatz
Will das FA nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Aufrechnung gegen einen Vorsteuervergütungsanspruch des Schuldners erklären und setzt sich dieser Anspruch sowohl aus vor als auch aus nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vorsteuerabzugsbeträgen zusammen, hat das FA sicherzustellen, dass die Aufrechnung den Vorsteuervergütungsanspruch nur insoweit erfasst, als sich dieser aus Vorsteuerbeträgen zusammensetzt, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind. Dies geschieht, indem im Rahmen der Saldierung gem. § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG die für den Besteuerungszeitraum berechnete USt vorrangig mit vor Insolvenzeröffnung begründeten Vorsteuerabzugsbeträgen verrechnet wird (Fortführung der Senatsrechtsprechung, Urteil vom 16.11.2004, VII R 75/03, BFH-PR 2005, 277, BStBl II 2006, 193).
Normenkette
§ 251 Abs. 2 Satz 1 AO, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, § 15 Abs. 1, § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG
Sachverhalt
Der Insolvenzverwalter eines im Februar 2001 eröffneten Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH gab die Umsatzsteuervoranmeldung für das 2. Quartal 2001 ab, aus der sich ein Guthaben der Schuldnerin ergab, welches u.a. aus dem Vorsteuerbetrag aus der Rechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters vom April 2001 stammte. Dieses verrechnete das FA teilweise mit einer USt-Forderung aus dem Monat August 2000.
Entscheidung
Die Aufrechnung verstößt gegen § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, weil das FA den aufgerechneten Vergütungsbetrag erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist.
Der Vorsteuerbetrag aus der Rechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters sei zwar insolvenzrechtlich vor Verfahrenseröffnung begründet worden; die übrigen angemeldeten Vorsteuerbeträge seien aber erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Zunächst müsse daher der Vorsteuerbetrag gem. § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG mit der berechneten USt verrechnet werden, mit der Folge, dass der verbleibende Vorsteuerüberschuss auf Vorsteuerbeträgen beruhe, welche nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind.
Hinweis
Für die Frage, ob die Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO möglich ist, kommt es darauf an, ob die Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Die Aufrechnung gegen steuerliche Forderungen, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens steuerrechtlich noch gar nicht entstanden sind, ist also möglich, sofern dieselben insolvenzrechtlich ("in ihrem Kern") "begründet" sind. Das ist z.B. bei Vorsteuer der Fall, die in der Rechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters ausgewiesen ist; denn die Leistungen des vorläufigen Insolvenzverwalters werden vor Verfahrenseröffnung erbracht.
Umsatzsteuerrechtlich sind Vorsteuerbeträge freilich unselbstständige Besteuerungsgrundlagen, die in die Berechnung der USt der einzelnen Besteuerungszeiträume eingehen. Daraus hat der BFH gefolgert (so schon Urteil in BFH-PR 2005, 277), nur wenn die Berechnung der USt für einen bestimmten Besteuerungszeitraum einen Vorsteuerüberschuss ergibt, könne gegen dieses Guthaben die Aufrechnung mit anderen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis erklärt werden. An einem solchen positiven Saldo fehlte es im Besprechungsfall.
Freilich fragt man sich, warum der BFH, der sonst im Insolvenzsteuerrecht eine insolvenzrechtliche Betrachtung (unter Ausblendung rein steuerverfahrensrechtlicher Umstände, insbesondere des § 38 AO) pflegt, hier auf halbem Weg stehen bleibt und plötzlich dem Umsatzsteuer(verfahrens)recht den Vorzug vor einer insolvenzrechtlich angemessenen Zuordnung vor Verfahrenseröffnung "begründeter" Vorsteuerbeträge gibt. Eine solche Zuordnung würde nämlich eine Steuerberechnung auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung erfordern, also eine Art Schattenveranlagung. Dass das Insolvenzverfahren nicht zu einer Spaltung des Unternehmens führt, sondern der Schuldner leistender Unternehmer bleibt, und dass durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch der umsatzsteuerrechtlich definierte Besteuerungszeitraum nicht unterbrochen wird – die Argumente des BFH für seine Betrachtungsweise –, hat mit dieser Frage im Grund wenig zu tun, weil es gar nicht um die umsatzsteuerverfahrensrechtliche Seite, sondern eben um eine insoweit eigenständige insolvenzrechtliche Betrachtung geht, will man dem Ansatz der BFH-Rechtsprechung treu bleiben, es komme für die Aufrechnungsbefugnis nicht auf das steuerrechtliche Entstehen, sondern das wirtschaftliche "Begründetsein" an.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.1.2007, VII R 7/06