FinMin Nordrhein-Westfalen, Erlaß v. 13.5.2015, S 0456
1. Allgemeines
Aufrechnung ist die wechselseitige Tilgung zweier sich gegenüberstehender Forderungen durch Verrechnung aufgrund einseitiger Erklärung eines der Beteiligten. Ihr Zweck ist die Sicherung des eigenen Anspruchs und das Vermeiden unwirtschaftlicher Einzelerfüllung.
Aufgerechnet wird gegen die Hauptforderung des Aufrechnungsgegners (z.B. gegen den Steuererstattungsanspruch des Steuerpflichtigen) mit der Gegenforderung des Aufrechnenden (z.B. mit der Abgabenforderung des Steuergläubigers; § 387 BGB).
Die Aufrechnung ist keine Vollstreckungsmaßnahme (BFH vom 3.11.1983, BStBl 1984 II S. 185). Sie kann daher auch bei Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO) erklärt werden.
Die Vollstreckung soll nicht angeordnet werden, wenn mit der zu vollstreckenden Forderung gegen Ansprüche des Vollstreckungsschuldners aufgerechnet werden kann (Abschn. 22 Abs. 4 VollstrA).
Außerdem ist die Vollstreckung nach Abschn. 5 VollstrA einzustellen oder zu beschränken, wenn der Steuerpflichtige gegen den zu vollstreckenden Anspruch wirksam die Aufrechnung erklärt (Abschn. 11 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 VollstrA).
2. Rechtsgrundlagen
Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche gelten sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts (§§ 387 bis 396, 406 BGB), soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 226 Abs. 1 AO).
Eine Abweichung von § 390 Satz 2 BGB enthält § 226 Abs. 2 AO, wonach eine Aufrechnung mit verjährten Ansprüchen ausgeschlossen ist (vgl. Tz. 7). Ferner ist in § 226 Abs. 3 AO bestimmt, dass der Steuerpflichtige gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufrechnen kann (vgl. Tz. 8).
3. Gegenstand der Aufrechnung
Das Finanzamt kann mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis nicht nur gegen sämtliche Erstattungs- und Vergütungsansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis aufrechnen, sondern auch gegen alle anderen öffentlich-rechtlichen und bürgerlich-rechtlichen Ansprüche des Aufrechnungsgegners (z.B. Forderungen aus Bauleistungen, Lieferungen). Darüber hinaus ist die Aufrechnung durch das Finanzamt auch mit nichtsteuerlichen Geldforderungen des Bundes oder des Landes NRW (z.B. aus Bürgschaftsgewährung) gegen Ansprüche des Steuerpflichtigen aus dem Steuerschuldverhältnis zulässig (BFH vom 4.10.1983, BStBl 1984 II S. 178 und vom 6.8.1985, BStBl 1985 II S. 672). Kassengleichheit (§ 395 BGB) ist weder bei Aufrechnung durch das Finanzamt noch bei Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen (BFH vom 25.4.1989, BStBl 1989 S. II 949; vgl. Tz. 8) erforderlich.
4. Voraussetzungen für die Aufrechnung
Nach § 387 BGB müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein:
- Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit der sich gegenüberstehenden Forderungen,
- Fälligkeit der Forderung, mit der aufgerechnet werden soll (= Gegenforderung des Aufrechnenden),
- Erfüllbarkeit der Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll (= Hauptforderung des Aufrechnungsgegners).
4.1 Gleichartigkeit
Hauptforderung und Gegenforderung müssen sich auf einen Geldanspruch beziehen. Der rechtliche Entstehungsgrund der jeweiligen Forderung ist dabei unbeachtlich (vgl. Tz. 3).
4.2 Gegenseitigkeit
Gegenseitigkeit der Forderungen besteht, wenn der Schuldner der einen Forderung der Gläubiger der anderen Forderung ist und umgekehrt (sog. Personengleichheit).
4.2.1 Rechtslage beim Steuerpflichtigen
4.2.1.1 Erfordernis der Personengleichheit
Beim Steuerpflichtigen ist die Gegenseitigkeit danach zu beurteilen, ob der Steuerpflichtige zugleich Gläubiger und Schuldner des Finanzamts ist.
An der Gegenseitigkeit fehlt es demnach, wenn z.B. der Schuldner einer Abgabenforderung eine Personengesellschaft, Gläubiger des Erstattungsanspruchs dagegen ein Gesellschafter ist oder umgekehrt (BFH vom 11.8.1954, BStBl 1954 III S. 291). Mit Abgabenforderungen gegen Gesamtschuldner i.S. des § 44 AO kann gegen Erstattungsansprüche eines Gesamtschuldners aufgerechnet werden, weil Gesamtschuldner nebeneinander dieselbe Leistung schulden. Dies gilt auch für das Verhältnis zwischen einem Steuerschuldner und einem Haftenden, wenn die Haftungsschuld durch Haftungsbescheid geltend gemacht und fällig ist.
Beispiel:
Eine OHG schuldet dem Finanzamt 5.000, – EUR Umsatzsteuer (USt). Dem Gesellschafter A steht gegen dieses Finanzamt ein Einkommensteuer (ESt-)Erstattungsanspruch i.H.v. 10.000, – EUR zu.
Gegenseitigkeit ist nicht gegeben, weil Schuldner und Gläubiger des Finanzamts nicht identisch sind. Wird wegen des USt-Rückstands dem Gesellschafter A ein Haftungsbescheid erteilt, kann das Finanzamt nach Ergehen des Haftungsbescheids (§§ 219, 220 AO) mit dem USt-Haftungsanspruch gegen den ESt-Erstattungsanspruch aufrechnen.
Wer Gläubiger eines steuerlichen Erstattungsanspruchs ist, richtet sich nach § 37 Abs. 2 AO. Schwierig ist die Feststellung des Erstattungsberechtigten bei Gesamtschuldnern nach § 44 AO. Erstattungsberechtigt ist nur derjenige, für ...