Leitsatz
Werden von mehreren Gesellschaften gegenüber nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Leistungsempfängern inhaltsgleiche Buchführungsleistungen deshalb nacheinander erbracht, um mehrfach die Kleinunternehmerregelung in Anspruch nehmen zu können, liegt eine zweckwidrige Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung vor, die zu ihrer Versagung führt.
Normenkette
§ 19 UStG, § 42 AO
Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Steuerberatungsgesellschaft, war (zeitweise) an insgesamt sechs GmbH & Co. KGs (KGs) als Kommanditistin beteiligt. Die KGs boten nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Kunden Buchhaltungsleistungen an, die zuvor inhaltsgleich von der Klägerin direkt an diese Kunden erbracht worden waren. Teilweise wurden die gleichen Kunden nacheinander von mehreren der KGs betreut, ohne dass sich an der Leistungsausführung inhaltlich etwas änderte und ohne dass erkennbar war, nach welchen sachlichen Kriterien (außer der Nichtüberschreitung der Kleinunternehmergrenze) die Beteiligten entschieden, welche KG vom jeweiligen Kunden beauftragt wurde.
Die Klägerin überließ den KGs Personal und Sachmittel. Nach dem Gesellschaftsvertrag erhielt sie hierfür nur ihre allgemeine Gewinnbeteiligung. Die anderen (der Klägerin nahestehenden) Gesellschafter der KGs konnten ihre Beteiligung ohne Zustimmung der Klägerin nicht veräußern und im Falle einer Kündigung nur eine Abfindung in Höhe des Buchwerts ihrer Beteiligung realisieren.
Obwohl der jeweiligen Komplementärin, der D-GmbH, nach den Gesellschaftsverträgen keine quotale Beteiligung am Gewinn zustand, sondern sie lediglich Ersatz sämtlicher ihr aus der Geschäftsführung entstandenen Aufwendungen erhalten sollte, wurde sie quotal am Gewinn der KGs beteiligt.
Zu den von der Klägerin mit der Gestaltung verfolgten Zwecken zählte die Ersparnis von Umsatz- und Gewerbesteuer. Nach Vortrag der Klägerin wurde diese Steuerersparnis von der Klägerin bzw. den KGs über niedrigere Preise an die Kunden weitergegeben.
Die Klägerin meldete keine Umsatzsteuer für die von den KGs ausgeführten Leistungen an und erklärte bezüglich der Überlassung von Personal und Sachmitteln an die KGs weder entgeltliche Umsätze noch unentgeltliche Wertabgaben.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) vertrat die Auffassung, dass die Umsätze der KGs der Klägerin zuzurechnen seien, da die Gestaltung missbräuchlich sei.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.6.2017, 7 K 7096/15, Haufe-Index 11109728, EFG 2017, 1473) entschied, dass das FA der Klägerin zu Recht die Umsätze der KGs zugerechnet habe, da die vorliegende Gestaltung missbräuchlich sei. Mit der Gestaltung sei lediglich ein Steuervorteil bezweckt worden. Außer den erlangten Steuervorteilen habe die Gestaltung keine sonstigen wesentlichen Vorteile gebracht.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Zwar habe das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise einen Missbrauch bejaht. Diese erlaube es aber nicht, die Umsätze der KGs der Klägerin zuzurechnen.
Die Sache war trotzdem nicht spruchreif. Im zweiten Rechtsgang muss nach Auffassung des BFH geprüft werden, ob die Überlassung von Personal und Sachmitteln tatsächlich als Gesellschafterbeitrag erfolgt sei, wie das FG gemeint hat.
Hinweis
1. Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts ein Steuergesetz nicht umgangen werden. Diese nationale Missbrauchsklausel, die im Bereich des Umsatzsteuerrechts entsprechend den Vorgaben des unionsrechtlichen Verbots des Rechtsmissbrauchs auszulegen ist (vgl. BFH, Urteil vom 16.6.2015, XI R 17/13, BFH/NV 2015, 1655, BStBl II 2015, 1024), steht unter einem doppelten Anwendungsvorbehalt:
a) Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO).
b) Bevor über § 42 AO ein Missbrauch vermieden wird, ist auf Tatbestandsebene zu prüfen, ob z.B. durch teleologische Reduktion der Missbrauch vermieden wird.
2. Dies gilt auch bei der Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG.
a) Die Kleinunternehmerregelung sieht Verwaltungsvereinfachungen zugunsten der Unternehmer vor (EuGH, Urteil vom 26.10.2010, C-97/09, Schmelz, BFH/NV 2010, 2380, Rz. 63). Dass Steuerpflichtige der Besteuerung ihrer Tätigkeiten unter dem Deckmantel der Kleinunternehmerregelung entgehen, auch wenn diese Tätigkeiten in ihrer Gesamtheit den Umfang der Geschäftstätigkeit eines Kleinunternehmens objektiv überschreiten, wäre mit dem Zweck nur Kleinunternehmen zu fördern, nicht zu vereinbaren (EuGH, Urteil vom 26.10.2010, C-97/09, Schmelz, BFH/NV 2010, 2380, Rz. 70). Durch die planmäßige Aufspaltung und künstliche Verlagerung von Umsätzen mit dem Ziel, so die Kleinunternehmergrenze jeweils nicht zu überschreiten, wird der Vereinfachungszweck des § 19 UStG verfehlt und die Kleinunternehmerregelung missbräuch...