Leitsatz
Ein für ein bestimmtes Wirtschaftsgut in einem Vorjahr gebildeter Investitionsabzugsbetrag kann in einem Folgejahr innerhalb des dreijährigen Investitionszeitraums bis zum gesetzlichen Höchstbetrag aufgestockt werden (gegen BMF, Schreiben vom 20.11.2013, BStBl I 2013, 1493, Rz. 6).
Normenkette
§ 7g Abs. 1 EStG
Sachverhalt
Der Kläger ließ im Jahr 2010 aufgrund einer verbindlichen Bestellung vom 15.12.2008 eine Fotovoltaik-Anlage errichten und erzielt daraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Die tatsächlichen Herstellungskosten betrugen 650.000 EUR. 2008 gewährte das FA für die beabsichtigte Herstellung der Fotovoltaik-Anlage einen Investitionsabzugsbetrag von 110.000 EUR. Für das Streitjahr 2009 beantragte der Kläger eine Aufstockung des Investitionsabzugsbetrags um 90.000 EUR. Dies lehnte das FA ab. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das FG der Klage statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 19.12.2012, 2 K 189/12, Haufe-Index 3642392, EFG 2013, 669).
Entscheidung
Die Revision des FA hatte keinen Erfolg. Der BFH gab dem FG aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen recht, sodass die Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb um die Aufstockung des Investitionsabzugsbetrags zu mindern waren.
Hinweis
1. Steuerpflichtige können gemäß § 7g Abs. 1 Satz 1 EStG als Investitionsabzugsbetrag für die künftige Anschaffung oder Herstellung eines abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsguts des Anlagevermögens – unter den weiteren Voraussetzungen des § 7g Abs. 1 Satz 2 EStG – bis zu 40 % der voraussichtlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnmindernd abziehen.
2. Streitig war bislang die Frage, ob ein Investitionsabzugsbetrag, der bereits in einem Vorjahr abgezogen worden war, ohne dabei aber die absolute Höchstgrenze von 200.000 EUR je Betrieb oder die relative Höchstgrenze von 40 % der voraussichtlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu erreichen, in einem Folgejahr des durch § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 3 Satz 1 EStG umrissenen Dreijahreszeitraums bis zum Erreichen der genannten Höchstgrenzen aufgestockt werden darf. Diese Frage ist zu bejahen.
3. Zwar kann die Aufstockungsmöglichkeit weder dem Gesetzeswortlaut noch aus der Gesetzessystematik entnommen werden. Die historische Entwicklung des Gesetzes spricht jedoch eindeutig für die Möglichkeit einer Anpassung des Investitionsabzugsbetrags, da nach einhelliger Auffassung bei der Vorgängervorschrift des § 7g EStG a.F. eine Aufstockung bzw. Minderung der Ansparrücklage in einem Folgejahr möglich war und sich in den Gesetzesmaterialien kein Hinweis findet, dass die Neuregelung insoweit verschärft werden sollte.
4. Entscheidend ist aber, dass auch der Zweck des § 7g EStG für die Zulässigkeit der nachträglichen Aufstockung eines Investitionsabzugsbetrags spricht. Ansonsten wäre nämlich in Fällen, in denen sich im Laufe der Investitionsplanungsphase ein Anstieg der voraussichtlichen Investitionskosten ergibt, keine Anpassung des Investitionsabzugsbetrags an den gestiegenen Mittelbedarf möglich. Dies hätte zur Konsequenz, dass ein Teil der Investitionskosten von der Förderung durch § 7g EStG ausgeschlossen wäre, obwohl der Zweck der Norm – Stärkung der Liquidität und Investitionskraft – gerade in einem solchen Fall die Förderung gebietet. Missbräuchliche Gestaltungen sind durch die Zulassung einer nachträglichen Aufstockung des Investitionsabzugsbetrags nicht zu erwarten.
5. Die von der Finanzverwaltung gegen dieses Ergebnis vorgebrachten Einwände vermochten den BFH nicht zu überzeugen. Die sich stellenden Folgefragen seien zu lösen und die nachträgliche Anpassung führe nicht zu einer unzumutbaren Verkomplizierung des Steuerrechts. Dies gelte insbesondere, wenn man berücksichtige, dass sich die Finanzverwaltung im umgekehrten Fall – der freiwilligen Minderung des in einem Vorjahr in Anspruch genommenen Investitionsabzugsbetrags durch den Steuerpflichtigen in einem Folgejahr, aber noch vor dem Jahr der tatsächlichen Investition – nicht durch die damit einhergehende Komplizierung daran gehindert sehe, eine solche teilweise Rückgängigmachung ungeachtet des insoweit ebenfalls offenen Gesetzeswortlauts zuzulassen (vgl. BMF, Schreiben vom 20.11.2013, BStBl I 2013, 1493, Rz. 55).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 12.11.2014 – X R 4/13