4.1 Beeinflussbarkeit von Auftragskosten erkennen und nutzen
In den organisatorischen Aspekten der Angebots- und Verhandlungsphase liegen aus unserer Sicht Hauptursachen für die eingangs erwähnten Verlustaufträge. Dies lässt sich auf Basis der Gegenüberstellung des typischen Verlaufs der Kosten eines Investitionsobjekts mit dem Verlauf der Beeinflussbarkeit dieser Kosten illustrieren (s. Abb. 8). Die Kosten der Phase der Angebotserstellung sind im Verhältnis zu den Kosten der Auftragsabwicklung und natürlich zu den Kosten des Betriebs des Investitionsobjekts verschwindend gering. Auf der anderen Seite sind in der Phase der Angebotserstellung die Möglichkeiten, die Gesamtkosten des Investitionsobjekts über alle Phasen zu beeinflussen, am höchsten.
Abb. 8: Kosten eines Investitionsobjekts: Beeinflussbarkeit und absolute Höhe im Vergleich
Auftragsgröße und Planungsaufwand – ein Paradoxon
Die logische Konsequenz aus der Darstellung in Abb. 8 wäre eine Verdoppelung des Einsatzes von technischen und wirtschaftlichen Mitarbeitern in der Angebotsphase. Dies würde die Qualität des Engineering und die Genauigkeit der Vorkalkulation drastisch erhöhen und somit zu geringeren Gesamtkosten und zu einem geringeren Verlustrisiko führen. Auf der anderen Seite würde eine Verdoppelung des Einsatzes die Gesamtkosten des Investitionsobjekts nur geringfügig verändern.
In der Praxis beobachten wir aber wie beschrieben das Paradoxon, dass der Planungsaufwand eher unterproportional mit der Auftragsgröße wächst. Die Ursachen hierfür sind vielfältig:
- Die Arbeit an Angeboten erfolgt meist durch Mitarbeiter "nebenher", d. h. durch Mitarbeiter, die schon durch andere Aufgaben ausgelastet sind. Daher gibt es gerade in "guten" Zeiten Ressourcenengpässe, die den Aufwand der Angebotserstellung begrenzen.
- Die Angebotserstellung und die Vertragsverhandlung von Aufträgen mit größerem Auftragsvolumen und -risiko sind organisatorisch meist höher "aufgehängt". Dies mag aus Verantwortungsgesichtspunkten richtig sein. Auf der anderen Seite neigen Manager auf höheren Ebenen dazu, ihre Entscheidungen weniger durch die technischen und wirtschaftlichen Details leiten zu lassen als durch strategische Gesichtspunkte.
Vorsicht bei "strategischen" Aufträgen und Projekten
Hinter solchen "strategischen" Aufträgen verbirgt sich häufig die Idee, einen verlustbringenden Auftrag zu akzeptieren, um ein neues Markt- oder Kundensegment zu erschließen bzw. eine neue Technologie zu entwickeln. Dies führt aus unserer Sicht häufig unausweichlich zu Verlustaufträgen. Bei solchen Aufträgen navigiert das Unternehmen in den Vertragsverhandlungen technisch und wirtschaftlich im Blinden. Es weiß weder, was die einzelnen Kundenanforderungen kosten, noch, ob sie überhaupt realisierbar sind.
4.2 Vermeidung von "strategischen" Aufträgen – ein Erfolgsfaktor
Wer also vermeiden will, dass jeder fünfte Auftrag zum Verlustauftrag wird, sollte sog. "strategische" Aufträge meiden. Die Harvard Business Review hat von einem mittelständischen amerikanischen Unternehmen berichtet, in dessen Vorstand eine eiserne Regel galt: Immer wenn ein Vorstandsmitglied das Wort "strategisch" in den Mund nahm, mussten alle anderen Vorstandsmitglieder "zu teuer" rufen.
4.3 Die Erfolgsfaktoren im Überblick
Was sind nun letztlich die wesentlichen Erfolgsfaktoren in der Vorkalkulation bzw. in der Angebots- und Verhandlungsphase?
Die Basis des Erfolgs ist die solide Kenntnis der Methodik der Kalkulation und hierbei insbesondere die Bereitschaft,
- die einfache Lohnzuschlagskalkulation durch eine stark differenzierte Maschinenstundensatzkalkulation bzw. prozesskostenbezogene Kalkulation zu ergänzen sowie
- schwankende Auslastungssituationen in unterschiedlichen Gemeinkostenzuschlagszenarien abzubilden.
Noch wichtiger erscheint uns allerdings eine hohe organisatorische Disziplin:
- Größere Aufträge müssen genauer geplant und kalkuliert werden als kleine Aufträge. Damit steigt der Aufwand der Angebotsphase bei größeren Aufträgen überproportional.
- Das Top-Management darf nicht der Versuchung erliegen, strategisch gewünschte Aufträge ohne die notwendige Detailarbeit "durchzuwinken".