Gerade bei längeren und komplexeren Aufträgen sind Änderungen, Nachträge oder Erweiterungen während der Phase der Auftragsabwicklung der Normalfall.
5.3.1 Ursachen für Anforderungsänderungen
Mögliche Gründe für diese sind z. B.
- eine nicht ausreichende oder unvollständige Spezifizierung des Leistungsumfangs,
- unvorhersehbare Umstände, die erst während der Abwicklungsphase erkennbar wurden,
- veränderte Anforderungen durch neue Mitarbeiter oder Entscheidungsträger beim Auftraggeber und
- "echte" Fehler in der Spezifikation des Leistungsumfangs oder der Auftragsabwicklung.
Der Umgang mit diesen Änderungen, Nachträgen oder Erweiterungen wird als Claim Management (Anforderungsmanagement) bezeichnet. Dabei geht es insbesondere um die wirtschaftliche Behandlung der veränderten Anforderungen. Während Änderungs- und Ergänzungswünsche des Kunden offensichtlich zu einer Nachforderung des Auftragnehmers führen, ist dies bei den anderen genannten Ursachen nicht von vorneherein offensichtlich. Wer letztlich die Rechnung bezahlt, hängt vor allem vom Verhandlungsgeschick beider Seiten ab. Ziel des Claim Management ist es daher, durch frühzeitiges Analysieren, Aufbereiten, Dokumentieren und Verfolgen vertraglich nicht abgedeckten Anforderungen des Auftragnehmers aktiv begegnen zu können.
Anforderungsprozess als Grundlage des Claim Management
Grundlage ist zunächst der folgende Anforderungsprozess:
- Dokumentation der Anforderung,
- technische Klärung,
- juristische Prüfung des Vertragswerks,
- wirtschaftliche Kalkulation.
Handelt es sich um eine Anforderung, die der Auftragnehmer zu vertreten hat, folgen
- ein Angebot an den Auftraggeber,
- die Freigabe durch den Auftraggeber,
- die Realisierung der Anforderung und
- die Abrechnung.
Während der "technische" Ablauf sicherlich beherrschbar ist, ist die Herausforderung des Claim Management eher organisatorischer Art.
5.3.2 Organisatorische Aspekte des Claim Management
Wir haben Mitarbeiter erlebt, die im Rahmen des Claim Management in einer immerwährenden passiven Verteidigungshaltung waren: "Sie wehren sich fortlaufend gegen die überbordenden Forderungen des Kunden, geben dann häufig sogar zähneknirschend nach und haben dennoch unzufriedene Kunden." Auf der anderen Seite gibt es die aktiven Claim Manager, die das ursprüngliche Auftragsvolumen erheblich steigern und aus einem knapp kalkulierten Auftrag einen wirtschaftlichen Erfolg machen.
Grundlage des aktiven Claim Management sind zunächst ein solides, geschriebenes technisches und wirtschaftliches Angebot sowie ein juristisch korrekter Vertrag. Darauf aufbauend hat eine saubere Dokumentation der Claims anhand des dargestellten Anforderungsprozesses zu erfolgen. Schlüssel ist aber die Kommunikation der eigenen Bewertung der neuen Anforderungen gegenüber dem Auftraggeber. Das Zusammenspiel aus Vertragskenntnis, Claim-Dokumentation und Kommunikation mit dem Auftraggeber wird als magisches Dreieck des Claim Managements bezeichnet.
Aktives Claim Management ist eine Kunst
Das aktive Claim Management ist und bleibt eine Kunst! Es gibt keine festen Regeln, wie hart man verhandeln sollte bzw. welches zusätzliche Auftragsvolumen man aus einem Kunden "herausholen" kann. Sicherlich sollte man nicht so weit gehen wie der Essener Baukonzern Hochtief beim Auftrag der Elbphilharmonie in Hamburg, bei dem dank der Boulevardpresse ein ganzes Bundesland das Claim Management des Baukonzerns hasst. Ein Claim Manager muss ein sehr feines Gespür für den Kunden und dessen Zahlungsbereitschaft für einzelne Anforderungen entwickeln. Er muss die absolute Schmerzgrenze kennen und berücksichtigen, dass ein wirtschaftlich erfolgreicher Einzelauftrag, der einen unzufriedenen Kunden zurücklässt, im Sinne des ALC ein Pyrrhus-Sieg ist.