Leitsatz
1. Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine Präimplantationsdiagnostik (PID) mit nachfolgender künstlicher Befruchtung aufgrund einer Krankheit ihres Partners können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein.
2. Die Abziehbarkeit schließt auch diejenigen – aufgrund untrennbarer biologischer Zusammenhänge erforderlichen – Behandlungsschritte mit ein, die am Körper der nicht erkrankten Steuerpflichtigen vorgenommen werden.
3. Der Abziehbarkeit steht es dann nicht entgegen, dass die Partner nicht miteinander verheiratet sind.
Normenkette
§ 33 EStG, § 3a ESchG
Sachverhalt
Bei dem Partner der Klägerin lag eine chromosomale Translokation vor. Aufgrund dieser Chromosomenmutation bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Daher wurde eine PID durchgeführt. Bei der PID handelt es sich um ein genetisches Diagnoseverfahren zur vorgeburtlichen Feststellung von Veränderungen des Erbmaterials, die eine Fehl- oder Totgeburt verursachen bzw. zu einer schweren Erkrankung eines lebend geborenen Kindes führen können. Es erfolgt eine zielgerichtete genetische Analyse von Zellen eines durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos vor seiner Übertragung und Einnistung in die Gebärmutter. Der Großteil der hierfür notwendigen Behandlungen betraf die ledige Klägerin, die sie in ihrer ESt-Erklärung für das Streitjahr (2019) als außergewöhnliche Belastungen i.S.v. § 33 Abs. 1 EStG geltend machte. Das FA lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab. Das FG gab der Klage hinsichtlich der von der Klägerin selbst getragenen Aufwendungen statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 14.12.2021, 6 K 20/21, EFG 2022, 686, Haufe-Index 15147261).
Entscheidung
Die Revision des FA hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Krankheitskosten und damit Kosten, die einem objektiv (anomalen) regelwidrigen Körperzustand geschuldet sind, erwachsen dem Steuerpflichtigen ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig. Sie sind als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG zu berücksichtigen, wenn die Aufwendungen zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen.
2. Dabei wird nicht danach unterschieden, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen oder medizinisch erforderliche Hilfsmittel der Heilung dienen oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollen. Deshalb werden regelmäßig auch Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt, obwohl der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme nicht behoben, sondern nur "umgangen" oder kompensiert wird.
3. Dementsprechend erkennt der BFH in ständiger Rechtsprechung Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese – wie im Streitfall – in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen wird und mit der innerstaatlichen Rechtsordnung, insbesondere dem Embryonenschutzgesetz, im Einklang steht (BFH, Urteil vom 25.1.2022, VI R 34/19, BFH/NV 2022, 585, m.w.N.).
4. Nach diesen Grundsätzen ist das FG zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die von der Klägerin selbst getragenen Aufwendungen für die künstliche Befruchtung unter Verwendung homologen Samens als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind.
a) Bei der im Streitfall vorliegenden chromosomalen Translokation des Partners der Klägerin mit der wahrscheinlichen Folge schwerster Schädigungen für ein ohne ärztliche Behandlungsmaßnahmen gezeugtes Kind handelt es sich unstreitig um einen objektiv regelwidrigen Körperzustand und mithin um eine Krankheit i.S.d. angeführten Rechtsgrundsätze.
b) Die durchgeführten Behandlungsmaßnahmen der PID i.V.m. der künstlichen Befruchtung der Klägerin waren medizinisch auch indiziert, um die Krankheit des Partners auszugleichen und mithin deren nachteilige Folgen zu umgehen. Denn die durch die chromosomale Translokation des Partners der Klägerin entstehende Gefährdung des Kindes bei natürlicher Befruchtung konnte durch eine PID einschließlich nachfolgender künstlicher Befruchtung umgangen werden.
5. Da die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion des Partners der Klägerin auszugleichen, sind ausnahmsweise auch die Aufwendungen für die Behandlungsschritte, die bei der – unstreitig – gesunden Klägerin vorzunehmen waren, zwangsläufig entstanden. Denn wegen der biologischen Zusammenhänge konnte – anders als bei anderen Erkrankungen – durch eine medizinische Behandlung allein des Partners der Klägerin keine Linderung der Krankheit eintreten. Daher steht der Umstand, dass die Klägerin selbst gesund ist, der Berücksichtigung der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen nicht entgegen.
6. Unschädlich ist zudem, dass die Klägerin und ihr Partner nicht verheiratet war...