Leitsatz
Bei einem Kurzzeitpflegeheim gehören zu den "Pflegekosten" i.S.d. § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG nicht nur die pflegebedingten Aufwendungen, sondern auch die Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung (wie Abschn. 99a Abs. 5 Satz 1 UStR 2000).
Normenkette
§ 4 Nr. 16 Buchst. e UStG , Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL , Abschn. 99a Abs. 5 Satz 1 UStR 2000
Sachverhalt
Die Klägerin betrieb 1997 ein Kurzzeitpflegeheim. Der "Pflegesatz" umfasste die Kosten für Betreuung und Grundpflege sowie die Kosten für Unterkunft und Verpflegung.
Das FA versagte die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG, weil bei Einbeziehung der Kosten für Unterkunft und Verpflegung die 40%-Grenze nicht erreicht war (vgl. Abschn. 99a Abs. 5 Satz 1 der UStR 2000).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Auffassung des FG und entschied wie im Leitsatz wiedergegeben.
Hinweis
Nach § 4 Nr. 16 UStG sind die mit dem Betrieb der Krankenhäuser, und anderen Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung, ... u.a. Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze steuerfrei; Voraussetzung ist u.a., dass die im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssen (§ 4 Nr. 16 Buchst. e UStG).
§ 4 Nr. 16 ist seit dem 1.1.1995 auf die Vorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB) XI abgestimmt. Er erfasst aber nur solche Einrichtungen, bei denen die Pflegekosten in größerem Umfang von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe getragen werden und geht davon aus, dass – jedenfalls in Einzelfällen – die Pflicht der Träger der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe bestehen kann, die Pflegekosten "ganz" zu tragen. Das ist zwar nicht der Fall bei der Sozialversicherung (Pflegeversicherung) (vgl. § 28 Abs. 1 Nr. 7, § 42 SGB XI; die Kosten für Unterkunft und Verpflegung muss der Pflegebedürftige selbst übernehmen). Jedoch übernimmt – bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe – der Sozialhilfeträger – der insoweit originär zuständig ist – die von der Einrichtung für Unterkunft und Verpflegung in Rechnung gestellten Kosten (vgl. § 68 Abs. 1 und 2, § 27 Abs. 3 des Bundessozialhilfegesetzes).
Würde man bei Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen den Begriff der "Pflegekosten" in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG anders als in § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG definieren, so ergäbe sich eine sachlich nicht zu rechtfertigende unterschiedliche Behandlung von Kurzzeitpflegeheimen und Dauerpflegeheimen. Während bei den Dauerpflegeheimen nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG die 40%-Grenze unter Einschluss der Unterkunfts- und Verpflegungskosten zu berechnen sind, wäre bei Kurzzeitpflegeheimen ein anderer Maßstab anzuwenden, obwohl dieselben Kosten nur in zeitlich geringerem Umfang anfallen.
§ 4 Nr. 16 Buchst. e UStG soll Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL umsetzen. Danach sind die "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen" befreit. Hierzu hat der EUGH (Urteil vom 10.9. 2002, Rs. C-141/00 – ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH – BFH-PR 2003, 29) ausgeführt, dass Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung, die körperlich oder wirtschaftlich hilfsbedürftigen Personen von einem ambulanten Pflegedienst erbracht werden, grundsätzlich mit der sozialen Hilfe verbunden sind, so dass sie unter den Begriff "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen" gem. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL fallen (Rdnr. 44).
Die Mitgliedstaaten haben einen Ermessensspielraum zur Bestimmung, ob sie bestimmten Einrichtungen sozialen Charakter zuerkennen. Insoweit ist von den Gerichten das Bestehen spezifischer Vorschriften zu berücksichtigen, gleich ob es sich dabei um nationale oder regionale, um Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, um Steuervorschriften oder um Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handelt (vgl. EuGH, Urteil a.a.O. Rdnr. 54, 58). Wenn die nationale Befreiungsvorschrift voraussetzt, dass in bestimmtem Umfang eine Pflicht zur Kostenübernahme durch die gesetzlichen Träger der Sozialversicherung oder Sozialhilfe besteht, ist deren Leistungspflicht zu berücksichtigen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 5.2.2004, V R 2/03