Leitsatz
Beantragt der Kläger im Klageverfahren, einen Vorläufigkeitsvermerk zu erweitern, und beantragt er im Revisionsverfahren, die ESt herabzusetzen, liegt eine unzulässige Klageänderung i.S.d. §§ 67, 123 FGO vor.
Die Reichweite eines Einspruchs gegen einen (mehrere Festsetzungen umfassenden) Sammelbescheid richtet sich nach der Beschwer, die sich aus der Begründung des Einspruchs ergibt (Anschluss an BFH, Urteil vom 08.05.2008, VI R 12/05, BFH/NV 2009, 238, BFH/PR 2009, 110).
Normenkette
§ 67, § 118 Abs. 2, § 123 FGO, § 34 AO
Sachverhalt
Die Kläger legten Einspruch ein und bezogen sich dabei in ihrem Schriftsatz auf die "ESt 2002", wobei sie ausführten, der Einspruch richte sich gegen die Höhe der Werbungskosten. Das FA half dem Begehren nur teilweise ab.
Die Kläger erhoben dagegen Klage und führten im Rubrum als Gegenstand "wegen ESt 2002" an. In einem späteren Schriftsatz wollten die Kläger im Hinblick auf ein Musterverfahren gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags "ihren bisherigen Klageantrag diesbezüglich erweitern". Das FA erließ einen Änderungsbescheid und setzte die Steuer nach § 165 AO teilweise vorläufig fest, u.a. wegen der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen gem. § 10 Abs. 3 EStG.
Die Kläger erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache nicht für erledigt, sondern rügten die Verfassungswidrigkeit der Festsetzung des Solidaritätszuschlags und beantragten, das Verfahren auszusetzen, hilfsweise die Festsetzung des Solidaritätszuschlags im Änderungsbescheid aufzuheben und die ESt für das Streitjahr hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der Rentenversicherungsbeiträge vorläufig festzusetzen. Das FG wies die Klage durch Prozessurteil ab (FG Münster, Urteil vom 18.11.2005, 11 K 3561/04 E, Haufe-Index 1724781, EFG 2007, 1187).
Mit der Revision machten die Kläger geltend, Einspruch und Klage hätten sich gegen den gesamten ESt-Bescheid und damit auch gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags gerichtet. Das FG habe zu Unrecht das Klageverfahren nicht ausgesetzt. Die Ergänzung des Klägervortrags sei eine zulässige Klageerweiterung. Erstmals im Revisionsverfahren führten die Kläger aus, der Vorwegabzug sei bei ihnen zu Unrecht gekürzt worden. Sie beantragten, die Festsetzung des Solidaritätszuschlags aufzuheben und die ESt unter Berücksichtigung der von den Klägern gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als vorweggenommene Werbungskosten herabzusetzen.
Entscheidung
Die Revision der Kläger hatte keinen Erfolg. Ihren Antrag auf steuerliche Berücksichtigung der Vorsorgeaufwendungen sah der BFH als unzulässige Klageänderung an. Die Revision gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags wurde zurückgewiesen, weil diese bereits bestandskräftig war, da der fristgerechte Einspruch gegen die "ESt 2002" nicht auch den Solidaritätszuschlag umfasst hat.
Hinweis
1. Dieses nachträglich zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des X. Senats beschäftigt sich mit der in der Praxis nicht selten vorkommenden Situation, dass sich das Klagebegehren eines Steuerpflichtigen im Lauf des Verfahrens verändert. Es stellt sich dann die verfahrensrechtliche Frage nach der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit von Klageänderungen.
Der Übergang von einer Anfechtungs- zu einer Verpflichtungsklage stellt grundsätzlich eine Klageänderung gem. § 67 FGO dar. Dies gilt auch für die im Streitfall vorliegende umgekehrte Konstellation des Übergangs von einem Verpflichtungs- zu einem Anfechtungsbegehren.
Die Klage auf Erlass oder Erweiterung eines Vorläufigkeitsvermerks ist eine Verpflichtungsklage. Wird im Revisionsverfahren die endgültige Herabsetzung der ESt beantragt, ist dies ein "aliud" im Vergleich zu einer Erweiterung eines Vorläufigkeitsvermerks. Hierin liegt der Übergang von einer Verpflichtungs- zu einer Anfechtungsklage.
Wenn im Weg der Klagehäufung gem. § 43 FGO ein weiterer Klagegegenstand in das Verfahren eingeführt wird, liegt eine Klageänderung gem. § 67 FGO vor. Es ist dann zu beachten, dass die Klageerweiterung unzulässig ist, wenn zu diesem Zeitpunkt die Klagefrist bereits abgelaufen ist.
2. Gem. § 123 Abs. 1 S. 1 FGO sind Klageänderungen im Revisionsverfahren unzulässig, da sie mit den Grundsätzen des Revisionsrechts unvereinbar sind. Das Wesen des Revisionsverfahrens besteht darin, die Rechtmäßigkeit der finanzgerichtlichen Vorentscheidung zu überprüfen. Eine solche Entscheidung liegt aber nur insoweit vor, als über den Klageantrag in dieser Instanz entschieden worden ist. Über ein Begehren, das erstmals im Revisionsverfahren erhoben wird, wurde gerichtlich noch nicht entschieden, sodass es insoweit an einem Gegenstand der revisionsrichterlichen Nachprüfung fehlt (ständige BFH-Rechtsprechung).
3. Eine weitere wichtige Aussage des Urteils bezieht sich auf die Frage der Auslegungsfähigkeit von Einsprüchen gegen Sammelbescheide, d.h. z.B. gegen einen Bescheid über ESt, Solidaritätszuschlag und KiSt. Alle Steuerfestsetzungen stehen selbstständig nebeneinander und sind lediglich in einem Bescheid ver...