Leitsatz
1. Zur Adressierung und Bekanntgabe eines Feststellungsbescheides gemäß § 18 AStG i.V.m. § 183 Abs. 1 AO.
2. Auch grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen führen regelmäßig nur zur Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheids. Anders verhält es sich allerdings, wenn das FA bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt (Anschluss an BFH-Beschluss vom 14.4.1989, III B 5/89, BStBl II 1990, 351; Urteil vom 1.10.1992, IV R 34/90, BStBl II 1993, 259).
Normenkette
§ 119 Abs. 1 AO , § 124 AO , § 125 Abs. 1 AO , § 162 Abs. 1 AO , § 17 Abs. 2 AStG , § 18 AStG
Sachverhalt
Der Kläger war – seit 1975 und auch – im Streitjahr 1983 alleiniger Gesellschafter einer Schweizer AG (M-AG), die über ein Stammkapital von 1 Mio. SFr verfügte und deren Zweck der Erwerb, die dauernde Verwaltung und die Veräußerung von Beteiligungen an andere Unternehmen war. Nach vergeblicher Aufforderung (und einmaliger Erinnerung) zur Abgabe gesonderter Feststellungserklärungen gem. § 18 AStG für die Jahre 1983 bis 1989 schätzte das FA die Einkünfte aus passivem Erwerb und erließ gesonderte Feststellungsbescheide für 1983 bis 1988, die laut Postzustellungsurkunde sämtlich durch Niederlegung zugestellt wurden.
Der Bescheid für 1983 war (wie die übrigen Bescheide auch) im Anschriftenfeld an den Kläger adressiert. Er enthielt die Zusätze "für unbeschränkt steuerpflichtige Beteiligte (...) für Firma M-AG ... Der Bescheid ergeht an Sie als Empfangsbevollmächtigten mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten" sowie "Die Besteuerungsgrundlagen wurden gem. § 162 AO geschätzt, weil Sie trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben haben". Dem Bescheid war eine "Anlage ASt 2, 3 B-1 (80)" beigefügt, in welcher unter der Rubrik "Name und Anschrift der unbeschränkt steuerpflichtigen Beteiligten" ausschließlich der Kläger aufgeführt war.
Seine Einkünfte waren mit 1 Mio. DM und einem entsprechenden Hinzurechnungsbetrag i.S.d. § 10 AStG ausgewiesen. Anders als die Bescheide für 1984 bis 1988, denen gleichermaßen geschätzte Besteuerungsmerkmale – ansteigend von 1,1 Mio. in 1984 bis 1,5 Mio. DM in 1988 – zugrunde lagen, stand der Bescheid für 1983 nicht unter VdN.
Nachdem der Kläger für die Jahre 1984 bis 1987 Feststellungserklärungen abgegeben hatte, änderte das FA die Feststellungsbescheide 1984 bis 1988 und stellte die Hinzurechnungsbeträge gem. § 10 AStG mit jeweils 0 DM fest. Die Feststellung für 1983 änderte das FA lediglich gem. § 10d EStG und verminderte den Hinzurechnungsbetrag auf nunmehr 983 976 DM. Eine Feststellungserklärung auch für dieses Jahr war nach entsprechendem Hinweis des FA, dass es hier an einem Vorbehaltsvermerk fehle, nicht abgegeben worden.
Die gegen den Schätzungsbescheid 1983 gerichtete Klage hatte vor dem FG wegen unrichtiger Adressierung Erfolg.
Entscheidung
Der BFH folgte dem zwar nicht. Die Adressierung lasse hinreichend klar erkennen, dass der Bescheid sich gegen den Kläger richte. Selbst wenn er fälschlicherweise – auch – an gegenüber der M-AG ergangen wäre, so richte er sich doch auch an den Kläger. Eine solche partiell richtige Adressierung reiche aus. Das FG-Urteil sei deswegen aufzuheben.
Allerdings: Es bleibe einiges aufzuklären, weshalb die Sache an das FG zurückzuverweisen sei. Denn das FA habe möglicherweise aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen (dort unter 1.) eine willkürliche Strafschätzung vorgenommen. Sollte sich dies bestätigen, wäre der Bescheid nichtig und brauchte nicht beachtet zu werden.
Hinweis
1. Schätzt das FA die Besteuerungsgrundlagen und gelangt es hierbei aufgrund objektiver Umstände oder aber auch, weil es dem säumigen Steuerpflichtigen einen ,Denkzettel' verpassen will, zu Ergebnissen, die den tatsächlichen Gegebenheiten zulasten des Steuerpflichtigen krass widersprechen, so ist guter Rat jedenfalls dann teuer, wenn die Schätzungsbescheide, aus welchen Gründen auch immer, bestandskräftig geworden sind und wenn ihnen überdies auch noch kein Nachprüfungsvorbehalt beigefügt ist. Gemeinhin heißt es dann schlicht: zahlen.
Der Schätzungsbescheid mag zwar rechtswidrig sein, nichtig ist er regelmäßig jedoch nicht, so dass er gegenüber dem Steuerpflichtigen ,wirkkräftig' und von diesem zu beachten ist. Es gibt jedoch Ausnahmen, dann nämlich, wenn das FA bewusst und letzten Endes willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat. Es hat sich damit dem Gesetzesauftrag, sich bei der Schätzung in möglichst und annähernd realistischer Nähe an den wahrscheinlich tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen zu orientieren, widersetzt und damit ggf. einen derart schweren Fehler begangen, der dem Schätzungsbescheid – wie in Juristenkreisen zu formulieren gepflegt wird – ,auf der Stirn geschrieben' ist. Das wäre rechtsstaatswidrig und nicht hinzunehmen. In diesem Sonderfall kann der Steuerpflichtige dann ungeachtet der eingetretenen Bestandskraft die Unwirksamkeit des Bescheids reklamieren.
Allerdings: Die damit geschlagene ...