Leitsatz
1. Bei der in § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980/1991/1993 bezeichneten Frist handelt es sich um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist.
2. Eine Verpflichtung zur rückwirkenden Verlängerung der Antragsfrist nach § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980/1991/1993 ergibt sich auch nicht aus Abschn. 243 Abs. 5 Satz 1 UStR 1992.
Normenkette
§ 18 Abs. 9 UStG 1993 , § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993 , Abschn. 243 Abs. 5 UStR 1992 , Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der 6. EG-RL
Sachverhalt
Die in Großbritannien ansässige Klägerin führte in Deutschland in den Streitjahren 1990 bis 1993 keine steuerpflichtigen Umsätze aus. Sie beantragte erst Ende 1994 die Vergütung von Vorsteuerbeträgen (für Hotelkosten etc.). Sie meinte, ihr sei Abgabefrist rückwirkend nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AO zu verlängern, weil ihr die Möglichkeit der Vergütung nicht bekannt gewesen sei.
Das Bundesamt für Finanzen (BfF) lehnte die Fristverlängerung ab. Hiergegen richtete sich die erfolglose Klage.
Entscheidung
Die Revision hatte aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen keinen Erfolg.
Hinweis
Die Besprechungsentscheidung ist nur von Bedeutung für Vergütungsanträge, die Vorsteuerbeträge vor In-Kraft-Treten ("mit Wirkung vom 3.6.1995") der Neufassung des § 18 Abs. 9 UStG durch das Jahressteuergesetz 1996 betreffen. Die Neufassung des § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG bestimmt ausdrücklich: "Der Vergütungsantrag ist binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen, in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist." Zuvor war dieselbe Formulierung lediglich in § 61 Abs. 1 UStDV 1980/1991 enthalten.
Schon nach dem Wortlaut handelt es sich um eine eindeutige Handlungsfrist, die der Steuerpflichtige zur Wahrung seiner Rechte einhalten muss. Die Versäumung schließt ihn von den antragsabhängigen Rechten aus, sofern keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommt. Derartige Ausschlussfristen sind nicht – insbesondere nicht rückwirkend – verlängerbar (so zur seit dem Jahressteuergesetz 1996 geltenden Fassung § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG 1993 – BFH, Urteil vom 21.10.1999, V R 76/98, BStBl II 2000, 214).
Diese Auslegung war auch gemeinschaftsrechtlich geboten, denn der nationale Richter muss bei der richtlinienkonformen Auslegung das zur Durchführung der EG-RL erlassene Gesetz "unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auslegen und anwenden". Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der 8. EG-RL muss der Antrag spätestens sechs Monate nach Ende des Kalenderjahres, in dem die Steuer fällig geworden ist, gestellt werden. Das lässt keine Zweifel offen und ist auch bei der Auslegung der nationalen Regelung zu beachten.
Dass der deutsche Gesetzgeber die 8. EG-RL zum Teil in einer Rechtsverordnung (UStDV) umgesetzt hat, ist unerheblich. Er muss die Richtlinie nur sinngetreu und ihrem Zweck entsprechend umsetzen. Ausnahme: Es reicht nicht, wenn sie nur durch eine bloße Verwaltungspraxis umgesetzt wird, wenn diese die Verwaltung beliebig ändern kann und wenn sie nur unzureichend bekannt ist. Mit der Übernahme der (inhaltlich unveränderten) Antragsfrist aus der Rechtsverordnung (§ 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993) in das Gesetz (§ 18 Abs. 9 Satz 3 UStG ab 3.6.1995) war keine Rechtsänderung verbunden, weil sie lediglich "aus Gründen der Rechtsklarheit" erfolgte.
Eine rückwirkende Verlängerung der Ausschlussfrist für den Antrag auf Vorsteuervergütung ist auch durch § 109 AO nicht zugelassen. Diese Vorschrift, nach der die Frist für die Einreichung einer Steuererklärung verlängert werden kann, findet keine Anwendung, weil ihr die spezielleren Verfahrensvorschriften des § 18 Abs. 9 UStG 1993 i.V.m. § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993, jetzt § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG, vorgehen.
Eine Verpflichtung zur rückwirkenden Fristverlängerung ergibt sich auch nicht aus Abschn. 243 Abs. 5 Satz 1 UStR 1988/1992, der ausführt: "Die Antragsfrist (§ 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV) kann verlängert werden (§ 109 AO)." Denn diese Verwaltungsregelung war nach den zuvor dargestellten Rechtsgrundsätzen rechtswidrig und entfaltet deshalb keine Bindungswirkung.
Zum einen kann eine Verwaltungsregelung nicht dazu führen, dass ein Mitgliedstaat – für eine bestimmte Übergangszeit – eine Rechtspraxis beibehält, die dem Gemeinschaftsrecht widerspricht. Zum anderen stehen sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschriften konkludent unter dem Vorbehalt einer davon abweichenden Auslegung der Norm durch die Rechtsprechung. Nur für den Fall einer rückwirkenden verschärfenden Änderung der Rechtsprechung kommt eine Billigkeitsmaßnahme unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes in Betracht.
Und im Übrigen gilt: Eine besondere Vertrauenssituation zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt kann grundsätzlich nur durch die Erteilung einer verbindlichen Zusage oder Auskunft geschaffen werden, nicht hingegen durch den Erlass allgemeiner norminterpretierender Verwaltungsrichtlinien.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 23.10.2003, V R 48/0...