Leitsatz
Nach der Rechtsprechung des BFH können Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung bei einer verheirateten empfängnisunfähigen Frau eine außergewöhnliche Belastung sein, weil in diesem Falle die künstliche Befruchtung eine Heilbehandlung darstellt und die Aufwendungen hierfür als Krankheitskosten zu qualifizieren sind. Keine Heilbehandlung der Ehefrau liegt hingegen vor, wenn sich die Ehefrau künstlich befruchten lässt, weil ihr Ehemann zeugungsunfähig ist; eine außergewöhnliche Belastung kommt dann nicht in Betracht. Nicht entschieden war bislang, ob die künstliche Befruchtung einer unverheirateten empfängnisunfähigen Frau zu einer außergewöhnlichen Belastung führt. Das FG Berlin bejaht dies unter bestimmten Voraussetzungen.
Sachverhalt
Die unverheiratete Steuerpflichtige hatte sich in der Vergangenheit sterilisieren lassen, weil sie die Pille nicht vertragen habe, Thrombosen befürchtete und auch keine Spirale anwenden wollte. Später ließ sich wegen eines Kinderwunsches mit dem Samen eines Spenders künstlich befruchten. Den Spender heiratete sie anschließend.
Entscheidung
Das FG entschied, die Aufwendungen für diese künstliche Befruchtung könnten eine außergewöhnliche Belastung sein. Auch bei einer unverheirateten empfängnisunfähigen Frau stelle die künstliche Befruchtung eine Heilbehandlung dar. Die Realisierung eines Kinderwunsches rechne zum Kernbereich des Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit und dürfe deshalb nicht abhängig vom Ehestand beurteilt werden. Außerdem sei es nicht gerechtfertigt, Krankheitskosten je nach der Partnerschaftsform unterschiedlich zu behandeln; dies beschränke sich auf finanzielle Fragen wie den Splittingtarif oder die Erbschaftsteuer.
Die Anerkennung der außergewöhnlichen Belastung scheitere auch nicht an der vorherigen Sterilisation. Die Unfruchtbarkeit sei zwar selbst verursacht worden, doch bei Krankheitskosten komme es nicht darauf an, ob sie der Steuerpflichtige verursacht oder verschuldet hat. Die Aufwendungen für die künstliche Befruchtung bleiben deswegen abzugsfähige Krankheitskosten.
Die Steuerpflichtige braucht sich auch nicht vorhalten lassen, sie habe nicht alle rechtlichen Möglichkeiten für eine Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse wahrgenommen, denn ein Widerspruchs- oder Klageverfahren vor den Sozialgerichten sei nicht zumutbar gewesen, weil nach § 27 a SGB V ausdrücklich nur die Aufwendungen erstattet werden, die bei der Verwendung von Ei- und Samenzellen miteinander verheirateter Personen anfallen.
Das FG lehnte im vorliegenden Fall dennoch im Ergebnis einen Abzug der Aufwendungen für die künstliche Befruchtung ab, da die frühere Sterilisation nicht medizinisch unabweisbar erforderlich war, sondern als Mittel der Empfängnisverhütung gedient habe; die Steuerpflichtige wollte andere, möglicherweise unbequemere oder weniger sichere Verhütungsmittel nicht anwenden.
Hinweis
Gegen das FG-Urteil ist beim BFH unter dem Aktenzeichen III R 68/03 eine Revision anhängig. Ferner befasst sich die Nichtzulassungsbeschwerde III B 125/03 mit der Berücksichtigung von Aufwendungen für eine Leihmutter. Wem vergleichbare Kosten steuerlich nicht anerkannt wurden, kann sich auf diese beiden Verfahren berufen und ein eigenes Einspruchsverfahren zum Ruhen bringen bis der BFH entschieden hat.
Link zur Entscheidung
FG Berlin, Urteil vom 30.09.2003, 5 K 5349/02