Leitsatz
Aufwendungen für die krankheits-, pflege- und behinderungsbedingte Unterbringung in einer dem jeweiligen Landesrecht unterliegenden Wohngemeinschaft sind als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
Normenkette
§ 33 EStG, § 18, § 24, § 25 WTG NW
Sachverhalt
Der schwerbehinderte (Grad der Behinderung 100) und pflegebedürftige (Pflegegrad 4) Kläger wohnte gemeinsam mit anderen pflegebedürftigen Menschen in einer Pflegewohngemeinschaft, deren Errichtung und Unterhaltung dem Wohn- und Teilhabegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (WTG NW) unterfiel. Dort wurde er rund um die Uhr von einem ambulanten Pflegedienst und Ergänzungskräften betreut, gepflegt und hauswirtschaftlich versorgt. Die Aufwendungen für die Unterbringung (Kost und Logis) in der Pflegewohngemeinschaft machte er als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG geltend. Das FA erkannte diese Kosten nicht an, da der Kläger nicht vollstationär in einem Heim untergebracht sei. Nur dann seien Aufwendungen für die krankheits-, pflege- und behinderungsbedingte Unterbringung steuerlich zu berücksichtigen. Das FG gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage statt (FG Köln, Urteil vom 30.9.2020, 3 K 1858/18, Haufe-Index 14406808, EFG 2021, 764).
Entscheidung
Die Revision des FA hat der BFH aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen zurückgewiesen.
Hinweis
1. Aufwendungen für die krankheits-, pflegebedingte oder behinderungsbedingte Unterbringung des Steuerpflichtigen in einer dafür vorgesehenen Einrichtung erwachsen dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig und sind daher dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung i.S.d. § 33 EStG zu berücksichtigen. Es gelten die allgemeinen Grundsätze über die Abziehbarkeit von Krankheitskosten. Erforderlich ist danach lediglich, dass die Aufwendungen mit der Krankheit und der zu ihrer Heilung oder Linderung notwendigen Behandlung in einem adäquaten Zusammenhang stehen und nicht außerhalb des Üblichen liegen (z.B. BFH, Urteil vom 14.11.2013, VI R 20/12, BFH/NV 2014, 757, m.w.N.).
2. Der Umstand, dass der Kläger nicht in einem Heim i.S.d. § 1 HeimG beziehungsweise in einer – mit der Föderalismusreform 2006 in Nordrhein-Westfalen inhaltsgleich an dessen Stelle getretenen – Einrichtung mit umfassendem Leistungsangebot nach § 18 Abs. 1 WTG NWuntergebracht ist, steht – wie das FG zutreffend entschieden hat – der Anerkennung der Unterbringungskosten als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStGnicht entgegen. Dahingehendes ist weder im Tatbestand des § 33 EStG angelegt, noch hat der BFH die Unterbringung des Steuerpflichtigen in einem Heim i.S.d. § 1 HeimG beziehungsweise – wie vorliegend – in einer Einrichtung mit umfassendem Leistungsangebot nach § 18 Abs. 1 WTG NW zur Abzugsvoraussetzung für die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung erhoben. Der "Heimbezug" der bisherigen Rechtsprechung ist nicht rechtlichen Erwägungen, sondern dem Tatsächlichen geschuldet. Denn der BFH hat bislang nur über Sachverhalte entschieden, in denen die Unterbringung in einem "Heim" in Rede stand (z.B. BFH, Urteil vom 14.11.2013, VI R 20/12, BFH/NV 2014, 757).
3. Vielmehr sind auch Aufwendungen für die krankheits- oder pflegebedingte Unterbringung in einer Pflegewohngemeinschaft, die dem jeweiligen Landesrecht unterfällt, nach § 33 EStG zu berücksichtigen. Ausschlaggebend ist allein, dass die Pflegewohngemeinschaft ebenso wie das Heim zuvörderst dem Zweck dient, ältere oder pflegebedürftige Menschen oder Menschen mit Behinderung aufzunehmen und ihnen Wohnraum zu überlassen, in dem die notwendigen Betreuungs-, Pflege- und Versorgungsleistungen erbracht werden. Die Abzugsfähigkeit der Unterbringungskosten knüpft nicht daran an, dass dem Steuerpflichtigen – wie bei der vollstationären Heimunterbringung – Wohnraum und Betreuungsleistungen "aus einer Hand" zur Verfügung gestellt werden. Ausreichend ist, wenn er – wie im Streitfall – als (Mit-)Bewohner einer Pflegewohngemeinschaft neben der Wohnraumüberlassung von einem oder mehreren externen (ambulanten) Leistungsanbietern (gemeinschaftlich organisiert) Betreuungs-, Pflege- und Versorgungsleistungen in diesen Räumlichkeiten bezieht.
4. Allerdings sind auch krankheits- oder pflegebedingt anfallende Kosten nur insoweit abzugsfähig, als sie zusätzlich zu den Kosten der normalen Lebensführung anfallen. Deshalb waren die tatsächlich angefallenen Unterbringungskosten um eine sog. Haushaltsersparnis zu kürzen. Deren Höhe bestimmt der BFH im Wege der Schätzung nach dem steuerlich abziehbaren Höchstbetrag für den Unterhalt unterhaltsbedürftiger Personen, im Streitjahr 2016 waren dies 8.652 EUR (BFH, Urteil vom 4.10.2017, VI R 22/16, BFH/NV 2018, 275).
Behinderten-Pauschbetrag nicht zusätzlich zu gewähren
Werden die Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine behinderungsbedingte Unterbringung in einem Altenwohnheim als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG berücksichtigt, steht dem Steuerpflichtigen daneben der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 3 Satz ...