Leitsatz
1. Bei summarischer Prüfung bestehen nach den Urteilen des Bundesfinanzhofs vom 23.08.2022 ‐ VII R 21/21 (BFHE 278, 1, BStBl II 2023, 304) und vom 15.11.2022 ‐ VII R 55/20 (BFHE 278, 403, BStBl II 2023, 621) keine ernstlichen Zweifel mehr an der Verfassungsmäßigkeit verwirkter Säumniszuschläge, auch soweit diese nach dem 31.12.2018 entstanden sind.
2. Ernstliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge ergeben sich auch nicht aus den unionsrechtlichen Grundsätzen des Äquivalenz‐, Effizienz‐, Verhältnismäßigkeits- und Neutralitätsprinzips.
Normenkette
§ 69 FGO, § 227, § 240 AO
Sachverhalt
Auf Antrag des Antragstellers erließ das FA Abrechnungsbescheide über die zur USt 2015 bis 2021 verwirkten Säumniszuschläge. Hiergegen legte er Einspruch ein und beantragte gleichzeitig AdV. Letzteres lehnt das FA ab. Hierauf beantragte der Antragsteller beim FG die Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung der Abrechnungsbescheide in voller Höhe. Das FA änderte den Abrechnungsbescheid über Säumniszuschläge zur USt 2018 mit Bescheid vom 27.4.2022, sodass zuletzt in den Abrechnungsbescheiden verwirkte Säumniszuschläge i.H.v. 115,50 EUR (2015), 117 EUR (2016), 47 EUR (2017), 80,50 EUR (2018), 142 EUR (2019), 35,50 EUR (2020) und 55 EUR (2021) ausgewiesen wurden. Das FG gab dem Antrag des Antragstellers wegen ernstlicher verfassungsrechtlicher Zweifel hinsichtlich der nach dem 31.12.2018 verwirkten Säumniszuschläge i.H.v. 3,50 EUR (Abrechnungsbescheid über Säumniszuschläge zur USt 2017), von 36,50 EUR (Abrechnungsbescheid über Säumniszuschläge zur USt 2018) und in jeweils voller Höhe (Abrechnungsbescheide über Säumniszuschläge zur USt 2019 bis 2021) statt und lehnte den Antrag im Übrigen (hinsichtlich der vor dem 31.12.2018 verwirkten Säumniszuschläge) ab. Gegen den Beschluss haben sowohl der Antragsteller als auch das FA die vom FG zugelassene Beschwerde eingelegt. Beiden Beschwerden hat das FG (FG Münster, Urteil vom 6.5.2022, 12 V 53/22) nicht abgeholfen.
Entscheidung
Der BFH sah der Beschwerde des FA gegen den Beschluss des FG als begründet und die des Antragstellers als unbegründet an. Der Beschluss des FG war daher insoweit aufzuheben, als es dem Antragsteller AdV gewährt hatte, sodass der Antrag insgesamt abzulehnen war.
Hinweis
1. Der BFH hat bislang die Frage, ob im summarischen Verfahren ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit verwirkter Säumniszuschläge bestehen, bislang unterschiedlich beurteilt. Derartige Zweifel hatte z.B. der V. Senat des BFH im Hinblick auf den Beschluss des VII. Senats des BFH vom 31.8.2021, VII B 69/21 (AdV) bejaht (BFH, Beschluss vom 23.5.2022, V B 4/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1030).
2. Im Anschluss hieran hat der VII. Senat des BFH in zwei Hauptsacheverfahren verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 AOverneint (BFH, Urteil vom 23.8.2022, VII R 21/21, BFH/NV 2023, 400, BStBl II 2023, 304 und BFH, Urteil vom 15.11.2022, VII R 55/20, BFH/NV 2023, 583, 403, BStBl II 2023, 621).
Der VII. Senat begründet dies insbesondere damit, dass die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen nicht Haupt‐, sondern nur Nebenzweck sei und sich beim Säumniszuschlag kein konkreter Anteil bestimmen lasse, der als Zins behandelt werden könne. Ein derartiger Anteil ergebe sich auch nicht aus der bisherigen Rechtsprechung des BFH, die im Rahmen der Ermessensentscheidung über einen Billigkeitserlass von Säumniszuschlägen bei Zahlungsunfähigkeit dem Druckmittelcharakter der Säumniszuschläge einen Anteil von 50 % zugemessen habe. Aus einer Aufteilung des Säumniszuschlags im Rahmen der Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme könne nicht generell ein fester Zinsanteil hergeleitet werden. Aus dieser Rechtsprechung folge auch nicht, dass der Säumniszuschlag anteilig als Zins anzusehen sei. Vielmehr wurde in dem Fall, in dem auf Antrag eine Stundung der Steuer möglich oder geboten gewesen wäre, ein Teilerlass als ermessensgerecht angesehen, da dadurch der Nebenzweck der Gegenleistung berücksichtigt werde. Dabei seien als Maßstab für den Teilerlass die Stundungs- oder Aussetzungszinsen herangezogen worden, um eine Gleichbehandlung von vergleichbaren Sachverhalten dergestalt sicherzustellen, dass der säumige Schuldner jedenfalls in der Höhe durch Säumniszuschläge belastet bleibe, in der im Falle der Aussetzung oder Stundung Zinsen angefallen wären. Der hälftige Erlass beruhe somit nicht auf der Annahme, der Zinscharakter der Säumniszuschläge sei mit einem bestimmbaren Anteil in einer konkreten Höhe anzusetzen. Lasse sich § 240 AO ein fester und typisierender Zinssatz nicht entnehmen und komme der Norm für die nicht rechtzeitige Leistung der geschuldeten Steuern lediglich als Nebenzweck auch eine Zinsfunktion zu, fehle es jedenfalls an einer festen Größe eines Zinssatzes, die auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden könne. Somit scheide eine anteilige Behandlung des Säumniszuschlags als Zins aus. Auf dieser Grundlage könne sich eine Verfassungswidrigkeit nur aus der Höhe von einem Prozent für jeden ...