Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Ein Arbeitnehmer, der in verschiedenen Filialen seines Arbeitgebers wechselnd tätig ist, übt eine Auswärtstätigkeit aus, wenn keine der Tätigkeitsstätten eine hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber den anderen Tätigkeitsorten hat.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, § 9 Abs. 1 S. 1, § 9 Abs. 5, § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 2 EStG
Sachverhalt
K war als Distriktmanagerin bei der AG angestellt und für den Erfolg der ihr zugeordneten 15 Filialen verantwortlich. Die Filialen suchte K immer wieder auf. K hatte von der AG einen Dienstwagen, der ihr auch zur privaten Nutzung zur Verfügung stand und für den sie ein Fahrtenbuch führte. K machte mit ihrer ESt-Erklärung für die Fahrten von ihrer Wohnung zu den Filialen Reisekosten für Einsatzwechseltätigkeit (Verpflegungsmehraufwand und Reisekosten) geltend. Das FA erkannte den Verpflegungsmehraufwand nicht an und berücksichtigte die Entfernungspauschale nur für die Fahrten zwischen der Wohnung und der jeweils zuerst angefahrenen sowie der zuletzt aufgesuchten Filiale. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos (FG München, Urteil vom 18.08.2009, 2 K 4031/06, Haufe-Index 2240226, EFG 2009, 2014).
Entscheidung
Der BFH hob aus den unter Praxis-Hinweisen dargestellten Erwägungen die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Hinweis
Die neuen Rechtsgrundsätze zur regelmäßigen Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG (VI R 55/10) führen im hier erläuterten Fall dazu, dass ein Arbeitnehmer u.U. keine regelmäßige Arbeitsstätte hat.
1. Unter Anwendung der Grundsätze der Rechtsprechungsänderung, dass ein Arbeitnehmer nur eine regelmäßige Arbeitsstätte haben kann (BFH, Urteil vom 09.06.2011, VI R 55/10, BFH/NV 2011, 1764, BFH/PR 2011, 411) hatte die Entscheidung der Vorinstanz keinen Bestand. Denn diese hatte mehrere regelmäßige Arbeitsstätten zugrunde gelegt. Da K in einer Vielzahl von Filialen beschäftigt war, wird nun im zweiten Rechtsgang nach Maßgabe der zum Urteil VI R 55/10 (BFH, Urteil vom 09.06.2011, VI R 55/10, BFH/NV 2011, 1764, BFH/PR 2011, 411) dargestellten Rechtsgrundsätze zu prüfen sein, ob K überhaupt über eine regelmäßige Arbeitsstätte verfügte oder ob sie nicht vielmehr eine Auswärtstätigkeit ausgeübt hatte.
2. Für den zweiten Rechtsgang gab der BFH noch weitere Hinweise. So wird zum einen zu beachten sein, dass bei einer Auswärtstätigkeit zwar der Abzug von Verpflegungsmehraufwand in Betracht kommen kann (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 3 EStG). Aber ohne regelmäßige Arbeitsstätte scheidet ein Abzug der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG) ebenso aus, wie eine Erhöhung des Lohns über die 0,03 %-Zuschlagsregelung (§ 8 Abs. 2 S. 3 EStG). Und wie in der Entscheidung des Außendienstmitarbeiters (BFH, Urteil vom 09.06.2011, VI R 58/09, BFH/NV 2011, 1761, BFH/PR 2011, 409) kommt ein Abzug tatsächlicher Kosten für die Wege zwischen Wohnung und Tätigkeitsstätte nach der Grundnorm des § 9 Abs. 1 S. 1 EStG nur in Betracht, wenn K tatsächlich eigene Aufwendungen hatte. Dies ist bei einem Dienstwagen aber regelmäßig nicht der Fall.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 09.06.2011 – VI R 36/10