1. Problemaufriss
Weil sich die erbschaftsteuerliche Steuerbefreiung vorgreiflich nach den familienrechtlichen Grundsätzen aus §§ 1373 bis 1383 BGB richtet (§ 5 Abs. 1 Satz 2 ErbStG im Umkehrschluss), schlägt sich die Wertauswirkung latenter Steuern bei der fiktiven Zugewinnausgleichsforderung aus erbschaftsteuerlicher Sicht schon nach dem Gebot der Folgerichtigkeit nieder (zur erbschaftsteuerlichen Bedeutung latenter Steuern auf § 5 ErbStG: Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG § 5 Rz. 127, Meßbacher-Hönsch in eKommentar/ErbStG, § 5 Rz. 124 und 127.1, Götz in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, § 5 Rz. 17, Reich in v. Oertzen/Loose/Stalleiken, ErbStG, § 5 Rz. 36). Die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 ErbStG wird schließlich durch den Umstand gerechtfertigt, dass der Erwerb von Todes wegen in dem Umfang der hypothetischen güterrechtlichen Ausgleichsforderung gem. § 1378 BGB i.V.m. § 1371 Abs. 2 BGB von der Besteuerung ausgenommen wird, weil der Erwerb von Todes wegen durch diesen familienrechtlichen Anspruch überlagert ist und das Nachlassvermögen insoweit vom Ehegatten im steuerlichen Sinne nicht unentgeltlich erworben wird (Curdt in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 5 Rz. 2).
Die Steuerbefreiung wurde wegen der Regelung zur Wertbegrenzung nach § 5 Abs. 1 Satz 6 ErbStG durch das JStG 2022 für Erwerbe ab 29.12.2020 bereits erheblich verschärft. Die drastischen und kumulativ relevanten erbschaftsteuerlichen Auswirkungen der Einbeziehung latenter Steuern auf § 5 Abs. 1 ErbStG veranschaulicht nachstehendes Berechnungsbeispiel nach dem Vorbild eines realen Besteuerungssachverhalts:
2. Berechnungsbeispiel zu dem Auswirkungen von § 1376 Abs. 2 BGB zur Endvermögensberechnung unter Berücksichtigung latenter Ertragsteuerbelastungen
a) Sachverhalt
Der am 31.3.2021 (= Anwendungsbereich JStG 2020 ab 29.12.2020) verstorbene Erblasser E wird aufgrund gesetzlicher Erbfolge von seiner Ehefrau EF alleine (100 %) beerbt. Pflichtteilsansprüche bestehen nicht.
Das Nachlassvermögen setzt sich wie folgt zusammen:
GmbH-Anteil (Gutachterwert IDW S 1 gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG) |
60.000.000 EUR |
Bankguthaben |
1.000.000 EUR |
Wertpapierdepot |
4.000.000 EUR |
nachrichtlich: Erbfallkosten |
100.000 EUR |
Die 100%ige GmbH-Beteiligung umfasst 20.000.000 EUR begünstigtes Vermögen gem. § 13b Abs. 2 ErbStG (einschließlich Kulanzabschlags gem. § 13b Abs. 7 Satz 1 ErbStG), ohne dass sich Verschonungseinschränkungen aus § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG (sog. "90 %-Einstiegstest") ergeben.
Der Erblasser und EF haben am 1.2.1985 die Ehe ohne abweichenden Güterstand (= Zugewinngemeinschaft) geschlossen. Das Anfangsvermögen betrug bei Eheschließung jeweils 0 EUR und beträgt bei EF am Todestag unverändert 0 EUR.
b) Fiktive Zugewinnausgleichsforderung gem. § 5 Abs. 1 ErbStG und Erbschaftsteuerberechnung
aa) Fiktiver Zugewinn gem. § 5 Abs. 1 ErbStG (ohne fiktive Ertragsteuerbelastung)
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E |
EF |
GmbH-Anteil (Gutachterwert IDW S 1 gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG) |
60.000.000 EUR |
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Bankguthaben |
1.000.000 EUR |
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Wertpapierdepot |
4.000.000 EUR |
|
Endvermögen |
65.000.000 EUR |
0 EUR |
Zugewinn |
65.000.000 EUR |
0 EUR |
Zugewinnmehrbetrag |
65.000.000 EUR |
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Zugewinnausgleichsforderung (§ 1378 Abs. 1 BGB) |
32.500.000 EUR |
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Steuerpflichtiger Erwerb EF gem. § 10 Abs. 1 ErbStG |
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Reinnachlassvermögen (nach Erbfallkosten) |
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64.900.000 EUR |
Erbteil |
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64.900.000 EUR |
abzgl. Zugewinnausgleichsforderung (§ 5 Abs. 1 ErbStG) |
32.500.000 EUR |
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*) Begünstigtes Vermögen, § 13b Abs. 2 ErbStG: 20.000.000 EUR; Erwerberanteil (= 100 %): 20.000.000 EUR; Verschonungsabschlag gem. § 13a Abs. 1 ErbStG: 17.000.000 EUR.
bb) Fiktiver Zugewinn gem. § 5 Abs. 1 ErbStG (mit fiktiver Ertragsteuerbelastung)
Fiktive Ertragsteuerbelastung (persönlicher Steuersatz: 40 %).
GmbH-Anteil |
60.000.000 EUR |
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Anschaffungskosten |
-250.000 EUR |
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|
59.750.000 EUR |
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§ 17 Abs. 1 i.V.m. §§ 3 Nr. 40c, 3c Abs. 2 EStG (60 %) |
35.850.000 EUR |
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Einkommensteuertarif (40 %) |
14.340.000 EUR |
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Solidaritätszuschlag |
+788.700 EUR |
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latente Ertragsteuerlast GmbH-Anteil |
15.128.700 EUR |
15.128.700 EUR |
Wertpapiere |
4.000.000 EUR |
|
Anschaffungskosten |
-100.000 EUR |
|
|
3.900.000 EUR |
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Abgeltungsteuertarif, § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG (25 %) |
975.000 EUR |
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Solidaritätszuschlag |
+53.625 EUR |
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latente Ertragsteuerlast Wertpapiere |
1.028.625 EUR |
1.028.625 EUR |
latente Ertragsteuerlast gesamt |
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16.157.325 EUR |
Modifiziertes Endvermögen (nach Ertragsteuerlast) |
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Endvermögen |
65.000.000 EUR |
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latente Ertragsteuerlast |
-16.157.325 EUR |
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§ 1376 Abs. 2 BGB |
48.842.675 EUR |
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Zugewinnausgleichsforderung |
24.421.338 EUR |
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Reinnachlassvermögen (nach Erbfallkosten) |
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64.900.000 EUR |
Erbteil |
|
64.900.000 EUR |
abzgl. Zugewinnausgleichs-forderung (§ 5 Abs. 1 ErbStG) Kürzung (§ 5 Abs. 1 Satz 6 ErbStG; JStG 2020; gLE v. 13.9.2021) |
24.421.338 EUR |
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Endvermögen |
65.000.000 EUR |
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Steuerbefreiung gem. § 13a ErbStG (Erwerberanteil) |
-17.000.000 EUR |
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48.000.000 EUR |
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24.421.338 EUR x 48.000.000 EUR/65.000.000 EUR |
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-18.034.218 EUR |
Steuerbefreiung gem. § 13a Abs. 1 ErbStG |
|
-17.000.000 EUR |
Freibetrag ... |