[Ohne Titel]
Dipl.-Finw. (FH) René Sobisch, StAR
Die erbschaftsteuerliche Ehegattenbesteuerung hat naturgemäß eine hohe praktische Bedeutung in der Beratungspraxis und fordert den Berater regelmäßig bei der Beurteilung und Berechnung des fiktiven Zugewinnausgleichsanspruchs für Erbschaftsteuerzwecke, wenn beim Sterbefall der gesetzliche oder durch Ehevertrag modifizierte Güterstand der Zugewinngemeinschaft vorliegt und hierdurch die Besteuerung des überlebenden Ehegatten als Vermächtnisnehmer oder Erbe durch die Steuerbefreiung gem. § 5 Abs. 1 ErbStG beeinflusst wird. Der erhebliche Effekt latenter Steuern auf die Unternehmensbewertung i.R.d. Zugewinnausgleichs, welcher nach dem Ergebnis einer hypothetischen einkommensteuerlichen Veräußerungsgewinnbesteuerung wertreduzierend zu berück-sichtigen ist, wurde zuletzt durch den Aufsatzbeitrag von Freidank, Ubg 2024, 251–256 nachdrücklich verdeutlicht. Veranlasst durch diesen Impulsbeitrag soll nacholgend den gravierenden erbschaftsteuerlichen Implikationen latenter Steuern i.R.v. § 5 Abs. 1 ErbStG und weiteren Konsequenzen aus dem Blickwinkel der Erbschaft- und Schenkungsteuer nachgegangen werden.
I. Zivilrechtliche Grundlagen
Nach ständiger BGH-Rspr. und herrschender Literaturmeinung sind die Vermögenspositionen im Anfangs- und Endvermögen der Ehegatten mit dem sog. wirklichen Wert gem. §§ 1376 Abs. 1, 1376 Abs. 2 BGB zu erfassen, welcher gegenstandsbezogen für den jeweiligen Vermögensgegenstand auf dessen Realisationswert unter wertmindernden Abzug der am Stichtag anfallenden Ertragsteuerlast abstellt (BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, BGHZ 188, 249; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, BGHZ 188, 282; BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, zuletzt BGH v. 8.12.2021 – XII ZB 402/20, FamRZ 2022, 425; sowie Koch in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 1376 Rz. 12 m.w.N.). Eine Veräußerungsabsicht oder eine tatsächliche Veräußerung ist hierbei ausdrücklich unerheblich. Dieses Ergebnis ergibt sich aus dem in § 1378 Abs. 1 BGB normierten Halbteilungsgrundsatz. Demnach stützt sich die Zugewinnausgleichsberechnung auf eine strenge "Nachsteuer-Nettobetrachtung". Der Abzug der Ertragsteuerbelastung anhand der individuellen Besteuerungsverhältnisse einer simulativen Einkommensteuerveranlagung (Mast/Kogel, FamRZ 2020, 401–404) betrifft sämtliche steuerverstrickte Vermögenspositionen wie typischerweise Betriebsvermögen in Gestalt freiberuflicher Praxen, gewerblicher Unternehmen und Gesellschaftsbeteiligungen bei gewerblichen Personen- und Kapitalgesellschaften, aber ausdrücklich auch Vermögensgegenstände des Privatvermögens wie Grundstücke (Kogel, NJW 2011, 3337 [3340]: ggf. sogar gewerblichen Grundstückshandel bei Überschreiten der sog. "Drei-Objekt-Grenze" neben einem privaten Veräußerungsgeschäft gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG), Wertpapiere oder Lebensversicherungsansprüche (BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, BGHZ 188, 249 [270] – Rz. 50; BGH v. 8.12.2021 – XII ZB 402/20, FamRZ 2022, 425 – Rz. 23 mit der bemerkenswerten Aussage in Rz. 22: "Die latente Steuerlast lässt sich daher ohne nennenswerte Schwierigkeiten konkret ermitteln").
Bei der gutachterlichen Unternehmensbewertung ist der Ertragsteuerbelastungseffekt bereits in der Wertfindung IDW S 13 zu inkludieren (IDW S 13, 4.2, Rz. 37, Stand: 6.4.2016) und ggf. sogar ein gegenläufiger abschreibungsbedingter Steuervorteil (sog. tax amortisation benefit – TAB) werterhöhend zu berücksichtigen (IDW S 13, Rz. 38–41; besonders kritisch zur Bedeutung des "tab": Schlimpert/Siewert, FamRZ 2019, 586–588 ["Wahnsinn"]). Die anspruchsvollen und vielschichtigen Ertragsteuerfragen bei der Berechnung der maßgebenden latenten Steuer für Zwecke des § 1376 BGB, nämlich
- die Berücksichtigung antragsgebundener Steuervergünstigungen aus § 16 Abs. 4 EStG (gleitender Freibetrag i.H.v. 45.000 EUR) und
- § 34 Abs. 3 EStG (Tarifermäßigung i.H.v. 56 % des durchschnittlichen Steuersatzes für einen Veräußerungsgewinn bis zu 5 Mio. EUR, mind. jedoch mit 14 %),
- die Veranlagungssimulation mit Grund- oder Splittingtarif oder
- der Aufteilungsmaßstab einer fiktionalen Veräußerungsgewinnsteuer zwischen den Ehegatten bei Zusammenveranlagung im Todesjahr (vielleicht fiktive Aufteilung der "Steuerschuld" nach §§ 268 ff. AO; zu einer realen Einkommensteuerschuld des Sterbejahres s. BFH v. 4.7.2012 – II R 15/11, BStBl. II 2012, 790 = ErbStB 2012, 291 [Kirschstein])
sind familienrechtlich weitestgehend ungeklärt (lesenswert hierzu: Mast/Kogel, FamRZ 2020, 401–404; andeutungsweise: Piltz, NJW 2012, 1111–1115 [1114 f.]).
II. Latente Steuern bei Ermittlung der fiktiven Zugewinnausgleichsforderung gem. § 5 Abs. 1 ErbStG
1. Problemaufriss
Weil sich die erbschaftsteuerliche Steuerbefreiung vorgreiflich nach den familienrechtlichen Grundsätzen aus §§ 1373 bis 1383 BGB richtet (§ 5 Abs. 1 Satz 2 ErbStG im Umkehrschluss), schlägt sich die Wertauswirkung la...