Leitsatz
1. Ein Kind kann die Auszahlung des Kindergeldes an sich verlangen, wenn der kindergeldberechtigte Elternteil seiner Unterhaltsverpflichtung nicht nachkommt.
2. In diesem Fall kann das Kind die Festsetzung des Kindergeldes zugunsten des berechtigten Elternteils beantragen und ist ggf. befugt, dieses Recht in eigenem Namen einzuklagen.
3. Das Vormundschaftsgericht hat den Kindergeldberechtigten auch dann zu bestimmen, wenn das Kind nicht in den Haushalt eines Kindergeldberechtigten aufgenommen ist und kein Kindergeldberechtigter Unterhalt zahlt.
4. Das FG kann das Verfahren über die Festsetzung von Kindergeld förmlich aussetzen, bis eine erforderliche Berechtigtenbestimmung durch das Vormundschaftsgericht erfolgt ist.
Normenkette
§ 64 Abs. 2 und 3 EStG , § 67 Satz 2 EStG , § 74 Abs. 1 EStG , § 74 FGO
Sachverhalt
Die 1980 geborene Antragstellerin wohnte allein. Sie erhielt von ihren geschiedenen Eltern, die kein Kindergeld für die Antragstellerin bezogen, keinen Unterhalt. Einen Antrag der Antragstellerin, Kindergeld an sie auszuzahlen, lehnte die Familienkasse mit der Begründung ab, das Vormundschaftsgericht habe keine Berechtigtenbestimmung nach § 64 Abs. 2 und 3 EStG getroffen. Das Vormundschaftsgericht seinerseits lehnte eine Berechtigtenbestimmung ab; die Familienkasse sei selbst entscheidungsbefugt. Das FG lehnte den PKH-Antrag der Antragstellerin ab.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und gewährte PKH. Aus den Gesamtumständen sei zu schließen, dass die Antragstellerin nicht nur einen Antrag auf Abzweigung, sondern auch einen Antrag auf Festsetzung des Kindergeldes gestellt habe. Die Antragstellerin habe eine Antrags- und Klagebefugnis sowohl im Festsetzungs- als auch im Auszahlungsverfahren. § 67 Satz 2 EStG räume neben den Anspruchsberechtigten (i.d.R. Eltern) auch solchen Personen ein Antragsrecht ein, die ein berechtigtes Interesse an der Leistung des Kindergeldes haben. Ein solches Interesse bestehe auch bei Kindern, wenn Eltern ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommen.
Das Vormundschaftsgericht habe augenscheinlich die Vorschriften über die Berechtigtenbestimmung nach § 64 Abs. 2 und 3 EStG fehlerhaft angewendet. Sollte die Frage der Berechtigtenbestimmung streitig bleiben, könne das FG erwägen, unter Darlegung seiner rechtlichen Auffassung das Verfahren (über die Festsetzung des Kindergeldes) durch Beschluss förmlich auszusetzen.
Hinweis
In der Praxis bereitet das Zusammenwirken der Vorschriften über die Festsetzung und Auszahlung von Kindergeld (insbesondere bei fehlenden Unterhaltszahlungen der Eltern) immer noch große Probleme (vgl. auch BFH-PR 2001, 202). Dies zeigt deutlich der vorliegende Beschluss, in dem das Kind (Antragstellerin) zwischen die "Mühlsteine" der Familienkasse und des Vormundschaftsgerichts geraten ist.
Obgleich auch im Kindergeldrecht zwischen dem Festsetzungsverfahren und dem Erhebungs- bzw. (besser) Auszahlungsverfahren zu unterscheiden ist, besteht hier die Besonderheit, dass die Festsetzung des (fremden) Kindergeldanspruchs (Steuervergütungsanspruchs) unter bestimmten Voraussetzungen auch von einem Auszahlungsberechtigten beantragt werden kann (§ 67 Satz 2 i.V.m. § 74 Abs. 1 EStG).
In den Fällen, in denen sich Eltern – wie im Streitfall – nicht um ihre Kinder kümmern, insbesondere keinen Unterhalt zahlen, fehlt häufig – zur Vermeidung einer Doppelleistung von Kindergeld (vgl. § 64 Abs. 1 EStG) – eine erforderliche Berechtigtenbestimmung durch die Eltern.
Notfalls muss deshalb für das Festsetzungsverfahren eine solche Bestimmung durch das Vormundschaftsgericht nach § 64 Abs. 2 und 3 EStG getroffen werden. Die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts zur Berechtigtenbestimmung bindet (als Grundlagenbescheid) die Familienkasse.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 26.1.2001, VI B 310/00