Entscheidungsstichwort (Thema)
Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 78a Abs. 4 BetrVG
Leitsatz (amtlich)
- Die Weiterbeschäftigung eines Jugend- und Auszubildendenvertreters in einem nach § 78a Abs. 2 BetrVG entstandenen Arbeitsverhältnis kann dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden, wenn beim Abschluß der Ausbildung kein freier Arbeitsplatz vorhanden ist. Für die Feststellung, ob ein freier Arbeitsplatz vorhanden ist oder nicht, sind regelmäßig die Vorgaben des Arbeitgebers maßgebend, welche Arbeiten im Betrieb mit welcher Anzahl von Arbeitnehmern verrichtet werden sollen (im Anschluß an BAG Beschlüsse vom 24. Juli 1991 – 7 ABR 68/90 – BAGE 68, 187 = AP Nr. 23 zu § 78a BetrVG 1972 und vom 16. August 1995 – 7 ABR 52/94 – AP Nr. 25 zu § 78a BetrVG 1972).
- Die Zumutbarkeitsbegriffe in § 626 Abs. 1 BGB und in § 78a Abs. 4 BetrVG sind inhaltlich nicht identisch (Klarstellung zu BAG Urteil vom 16. Januar 1979 – 6 AZR 153/77 – AP Nr. 5 zu § 78a BetrVG 1972).
- Ist ein Auszubildender (hilfsweise) bereit, zu anderen als den sich aus § 78a BetrVG ergebenden Arbeitsbedingungen in ein Arbeitsverhältnis übernommen zu werden, so muß er dies dem Arbeitgeber unverzüglich nach dessen Erklärung nach § 78a Abs. 1 BetrVG, spätestens mit seinem Übernahmeverlangen nach § 78a Abs. 2 BetrVG, mitteilen. Eine Einverständniserklärung im gerichtlichen Verfahren genügt nicht.
- Hat der Auszubildende rechtzeitig erklärt, gegebenenfalls auch zu anderen Bedingungen zu arbeiten, muß der Arbeitgeber prüfen, ob die anderweite Beschäftigung möglich und zumutbar ist. Unterläßt er die Prüfung oder verneint er zu Unrecht die Möglichkeit und die Zumutbarkeit, so kann das nach § 78a Abs. 2 BetrVG entstandene Arbeitsverhältnis nicht nach § 78 Abs. 4 BetrVG aufgelöst werden.
Normenkette
BetrVG § 78a
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten K…, der Jugend- und Auszubildendenvertretung und des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 19. September 1995 – 8 TaBV 53/95 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Beteiligten zu 2), eines Mitglieds der Jugend- und Auszubildendenvertretung.
Der Beteiligte zu 2) wurde von der Arbeitgeberin in ihrer Niederlassung D… zum Kommunikationselektroniker ausgebildet. Am 31. Januar 1995 schloß er seine Ausbildung erfolgreich ab. Nachdem ihm die Arbeitgeberin mitgeteilt hatte, daß er nicht in ein Arbeitsverhältnis übernommen werden könne, verlangte er mit Schreiben vom 2. Januar 1995 seine Weiterbeschäftigung.
Mit ihrem am 9. Februar 1995 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag begehrt die Arbeitgeberin, das durch das Weiterbeschäftigungsverlangen kraft Gesetzes entstandene Arbeitsverhältnis aufzulösen, da ihr die Weiterbeschäftigung des Beteiligten zu 2) unzumutbar sei. In der Niederlassung D… bestehe ein Personalüberhang im fernmeldehandwerklichen Bereich von 66 Arbeitskräften und im mittleren fernmeldetechnischen Dienst von 32 Arbeitskräften. Im gesamten Unternehmensbereich müsse nach entsprechenden Vorgaben ihres Vorstands bis zum Jahr 2000 eine Personalreduzierung im Umfang von 60.000 Arbeitskräften erfolgen. Ausweislich der Verfügungen ihres Vorstandes vom 13. Dezember 1994 bzw. 28. Februar 1995 stünden für ausgebildete Kommunikationselektroniker lediglich 200 Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern zur Verfügung, wobei diese Arbeitsplätze den sog. Ke-Verkürzern vorbehalten seien, die ihre Ausbildung wegen guter Leistung vorzeitig im Juli/August 1995 abschließen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
das zwischen ihr und dem Beteiligten zu 2) begründete Arbeitsverhältnis aufzulösen.
Die Beteiligten zu 2) bis 4) haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie halten die Weiterbeschäftigung des Beteiligten zu 2) für zumutbar. Ein Beschäftigungsbedarf in der Niederlassung D… ergebe sich bereits daraus, daß dort per 31. Januar 1995 etwa 8.900 Mehrarbeitsstunden angefallen seien. Auch in der Fernsprechauskunft bestehe ein ständiger Personalbedarf. Die in den neuen Bundesländern bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten seien bei der Zumutbarkeitsprüfung zu berücksichtigen. Eine Bevorzugung der Ke-Verkürzer sei nicht gerechtfertigt.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht das Arbeitsverhältnis aufgelöst. Hiergegen wenden sich die Beteiligten zu 2) bis 4) mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das nach § 78a Abs. 2 BetrVG entstandene Arbeitsverhältnis zu Recht gem. § 78a Abs. 4 BetrVG aufgelöst, weil der Arbeitgeberin die Weiterbeschäftigung des Beteiligten zu 2) nicht zumutbar war.
I. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung im Sinne des § 78a Abs. 4 BetrVG u.a. dann unzumutbar, wenn zum Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses im Betrieb des Arbeitgebers kein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, auf dem der Auszubildende mit seiner durch die Ausbildung erworbenen Qualifikation beschäftigt werden kann (BAG Beschlüsse vom 24. Juli 1991 – 7 ABR 68/90 – BAGE 68, 187 = AP Nr. 23 zu § 78a BetrVG 1972 und vom 16. August 1995 – 7 ABR 52/94 – AP Nr. 25 zu § 78a BetrVG 1972, jeweils m.w.N.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
1. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung nicht erst dann unzumutbar, wenn der Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB erfüllt ist. Die zum Begriff der Unzumutbarkeit in § 626 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze lassen sich nicht auf den Auflösungstatbestand des § 78a Abs. 4 BetrVG übertragen. Der Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB ist erst dann gegeben, wenn dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann. Bei § 78a Abs. 4 BetrVG ist demgegenüber zu entscheiden, ob dem Arbeitgeber die Beschäftigung des Arbeitnehmers in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zumutbar ist. Diese Frage ist im Grundsatz zu verneinen, wenn der Arbeitgeber keinen andauernden Bedarf für die Beschäftigung eines Arbeitnehmers hat. Soweit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 16. Januar 1979 – 6 AZR 153/77 – AP Nr. 5 zu § 78a BetrVG 1972), der Schutzzweck des § 78a BetrVG gebiete eine an § 626 Abs. 1 BGB orientierte Auslegung, entnommen werden könnte, die Begriffe seien in § 626 Abs. 1 BGB und in § 78a Abs. 4 BetrVG inhaltsgleich, wird daran nicht festgehalten. Vielmehr ist der Inhalt der Begriffe nach den genannten unterschiedlichen Funktionen zu bestimmen.
2. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß in der Niederlassung D… kein freier Arbeitsplatz für den Beteiligten zu 2) zur Verfügung stand. Bei dieser Würdigung ist es zutreffend davon ausgegangen, daß sich das Vorhandensein eines Arbeitsplatzes nicht danach bestimmt, ob Arbeitsaufgaben vorhanden sind, mit deren Verrichtung ein Arbeitnehmer betraut werden könnte. Jedenfalls in der Privatwirtschaft richtet sich das Bestehen eines freien Arbeitsplatzes nicht danach, ob eine freie “Planstelle” vorhanden ist oder eine nach objektiven Kriterien meßbare Arbeitsmenge zu erledigen ist. Welche Arbeiten im Betrieb verrichtet werden sollen und wieviele Arbeitnehmer damit beschäftigt werden, bestimmt vielmehr der Arbeitgeber durch seine arbeitstechnischen Vorgaben und seine Personalplanung. Entscheidet er sich dafür, keine Arbeiten durch zusätzliche Arbeitnehmer verrichten zu lassen, und hat er mithin keinen Einstellungsbedarf, so ist ein freier Arbeitsplatz nicht vorhanden. Von Mißbrauchsfällen abgesehen ist deshalb der Arbeitgeber auch nicht gehindert, durch eine Veränderung der Arbeitsorganisation Arbeitsplätze wegfallen zu lassen. Dafür bestehen angesichts der vom Vorstand beschlossenen umfangreichen Personalreduzierung keinerlei Anhaltspunkte.
3. Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, daß der Arbeitgeber grundsätzlich nicht verpflichtet ist, durch eine Änderung seiner Arbeitsorganisation einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen, um einen durch § 78a BetrVG geschützten Auszubildenden weiterbeschäftigen zu können (vgl. bereits BAG Urteile vom 16. Januar 1979 – 6 AZR 153/77 – AP Nr. 5 zu § 78a BetrVG 1972 und vom 15. Januar 1980 – 6 AZR 361/79 – BAGE 32, 285 = AP Nr. 9 zu § 78a BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 29. November 1989 – 7 ABR 67/88 – AP Nr. 20 zu § 78a BetrVG 1972).
Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Entscheidung, ob durch den Abbau von Überstunden oder von Urlaubsüberhängen zusätzliche Einstellungsmöglichkeiten geschaffen werden sollen. Denn jedenfalls soweit der Arbeitgeber mit seinen Organisationsmaßnahmen nicht erkennbar das Ziel verfolgt, gerade die Übernahme der durch § 78a BetrVG geschützten Auszubildenden zu verhindern, steht es in seiner durch diese Vorschrift nicht eingeschränkten, sondern allenfalls einer Mißbrauchskontrolle unterliegenden unternehmerischen Entscheidungsfreiheit, durch wieviele Arbeitnehmer er die anfallenden Arbeiten verrichten läßt.
II. Der Beteiligte zu 2) kann sich auch nicht darauf berufen, daß in der Fernsprechauskunft Arbeitskräfte gesucht bzw. in den neuen Bundesländern demnächst Auszubildende in ein Arbeitsverhältnis übernommen werden sollen. Denn derartige Beschäftigungsmöglichkeiten sind, selbst wenn sie bestanden haben sollten, nicht Inhalt des gem. § 78a Abs. 2 BetrVG entstandenen Arbeitsverhältnisses, um dessen Auflösung gestritten wird.
1. Der erkennende Senat unterscheidet in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. BAG Urteil vom 13. November 1987 – 7 AZR 246/87 – BAGE 57, 21 = AP Nr. 18 zu § 78a BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 24. Juli 1991 – 7 ABR 68/90 – BAGE 68, 187 = AP Nr. 23 zu § 78a BetrVG 1972) zwischen dem nach § 78a Abs. 2 BetrVG entstehenden Arbeitsverhältnis und seiner Auflösung gem. § 78a Abs. 4 BetrVG. Durch das Übernahmeverlangen des Auszubildenden entsteht ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis, das einen Anspruch auf ausbildungsgerechte Beschäftigung im Ausbildungsbetrieb begründet (BAG Beschluß vom 16. August 1995 – 7 ABR 52/94 – AP Nr. 25 zu § 78a BetrVG 1972). Inhaltliche Abänderungen dieses Arbeitsverhältnisses unterliegen dem Konsensprinzip, so daß der Auflösungsantrag nach § 78a Abs. 4 BetrVG nicht mit der Begründung abgewiesen werden darf, dem Arbeitgeber wäre die Begründung eines anderen als des nach § 78a Abs. 2 BetrVG entstehenden Arbeitsverhältnisses zumutbar gewesen (BAG Beschluß vom 24. Juli 1991, aaO).
2. Sofern allerdings der Auszubildende – wenn auch nur hilfsweise – sein Einverständnis mit einer Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen erklärt hat, kann es der Schutzzweck des § 78a BetrVG gebieten, daß der Arbeitgeber auf derartige Änderungswünsche eingeht, andernfalls von einer Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung auszugehen ist. Die Vorschrift des § 78a BetrVG dient nicht nur dem Schutz der Amtskontinuität, sondern will dem Auszubildenden auch die Besorgnis nehmen, wegen seiner Amtsübernahme oder der Art seiner Amtsausübung vom Arbeitgeber benachteiligt zu werden. Zur Vermeidung einer solchen Benachteiligung kann der Arbeitgeber daher gehalten sein, Änderungswünschen, denen er auch bei anderen Auszubildenden nachkommen würde, bei einem durch § 78a BetrVG geschützten Auszubildenden bevorzugt Rechnung zu tragen.
3. Im Streitfall kann dahinstehen, ob die Arbeitgeberin nach diesen Maßstäben verpflichtet gewesen wäre, ein Beschäftigungsverlangen des Beteiligten zu 2) in der Fernsprechauskunft oder in einem Betrieb in den neuen Bundesländern zu prüfen. Denn der Beteiligte zu 2) hat der Arbeitgeberin nicht mitgeteilt, daß er – wenn auch nur vorsorglich – mit einer derartigen anderweitigen Beschäftigung einverstanden wäre.
Ein Auszubildender, der vorsorglich auch zu anderen als den sich aus § 78a Abs. 2 BetrVG ergebenden Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt werden möchte, muß dem Arbeitgeber frühzeitig, regelmäßig nach dessen Nichtübernahmemitteilung gem. § 78a Abs. 1 BetrVG, spätestens mit dem eigenen Weiterbeschäftigungsverlangen, zu erkennen geben, zu welchen abweichenden Arbeitsbedingungen er sich seine Weiterbeschäftigung vorstellt.
Eine Einverständniserklärung erst im gerichtlichen Verfahren genügt nicht. Denn gem. § 78a Abs. 4 BetrVG muß der Arbeitgeber den Auflösungsantrag spätestens zwei Wochen nach dem Ende des Berufsausbildungsverhältnisses stellen; hierzu muß er prüfen können, ob durch ein Eingehen auf Abänderungswünsche des Auszubildenden die Antragstellung nach § 78a Abs. 4 BetrVG zu vermeiden ist. Welche Überlegungsfrist dem Arbeitgeber hierbei einzuräumen ist, brauchte vorliegend nicht entschieden zu werden.
Nach diesen Maßstäben mußte für die Beurteilung der Unzumutbarkeit nach § 78a Abs. 4 BetrVG die Möglichkeit einer Beschäftigung des Beteiligten zu 2) mit der nicht ausbildungsgerechten Tätigkeit in der Fernsprechauskunft ebenso außer Betracht bleiben wie der Umstand, daß die Arbeitgeberin in anderen Betrieben als dem Ausbildungsbetrieb eine Anzahl von Auszubildenden, die sog. Ke-Verkürzer, in ein Arbeitsverhältnis übernimmt. Auf die vom Landesarbeitsgericht verneinte Frage, ob es der Arbeitgeberin zuzumuten war, den Beteiligten zu 2) bis zu dem für die Übernahme der Ke-Verkürzer vorgesehenen Zeitpunkt (Juli/August 1995) zwischenzeitlich anderweitig zu beschäftigen, kam es daher nicht mehr an.
Unterschriften
Dörner, Steckhan, Schmidt, U. Zachert, Niehues
Fundstellen
Haufe-Index 885467 |
BAGE, 294 |
BB 1996, 2464 |
NZA 1997, 783 |
SAE 1998, 122 |
MDR 1997, 750 |
PersR 1997, 409 |