Entscheidungsstichwort (Thema)
Einigungsstelle. betriebsfremder Beisitzer. Anspruch auf Vergütung und Kostenersatz. Beschlussfassung des Betriebsrats. Ladung ohne Tagesordnung. nachträgliche Heilung eines unwirksamen Beschlusses. Vergütungsansprüche eines betriebsfremden Einigungsstellenbeisitzers. nachträgliche Heilung eines unwirksamen Betriebsratsbeschlusses
Orientierungssatz
1. Der Anspruch auf Vergütung und Kostenersatz eines vom Betriebsrat für eine im Betrieb des Arbeitgebers gebildete Einigungsstelle bestellten betriebsfremden Beisitzers ist von einer wirksamen Beschlussfassung des Betriebsrats über die Bestellung und der Annahme dieser Bestellung durch den Beisitzer abhängig.
2. Ein wirksamer Beschluss des Betriebsrats setzt voraus, dass die Betriebsratsmitglieder vom Vorsitzenden rechtzeitig unter Mitteilung der Tagesordnung zu der Betriebsratssitzung geladen wurden. Eine mangels Übermittlung der Tagesordnung verfahrensfehlerhafte Ladung kann durch die ordnungsgemäß geladenen Mitglieder in der Betriebsratssitzung geheilt werden, wenn der Betriebsrat beschlussfähig ist und die Anwesenden einstimmig beschließen, über den Regelungsgegenstand zu beraten und abzustimmen. Die anwesenden, ordnungsgemäß geladenen Betriebsratsmitglieder können mit der Ergänzung der Tagesordnung zugleich auch einen bereits vor der Beschlussfassung über die Tagesordnung gefassten Beschluss genehmigen.
3. Ein den Anforderungen des § 34 BetrVG genügendes Protokoll über eine Betriebsratssitzung begründet zwar keine gesetzliche Vermutung iSd. § 292 ZPO dafür, dass ein dort wiedergegebener Beschluss von den anwesenden Betriebsratsmitgliedern gefasst wurde. Ihm kommt jedoch bei der nach § 286 Abs. 1 ZPO gebotenen gerichtlichen Würdigung ein hoher Beweiswert zu. Ergibt sich die Beschlussfassung aus dem Protokoll, obliegt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert zu erschüttern oder einen für den Gegenbeweis geeigneten Vortrag zu halten.
Normenkette
BetrVG § 76a Abs. 3, § 29 Abs. 2 S. 3, § 33 Abs. 2, § 34; ZPO § 286 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 14. Januar 2016 – 5 TaBV 45/15 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten sowie die Zahlung einer Vergütung für die Tätigkeit des Antragstellers als Beisitzer zweier Einigungsstellen bei der zu 2. beteiligten Arbeitgeberin.
Bei der Arbeitgeberin waren im Jahr 2011 zwei Einigungsstellen gebildet. Eine der Einigungsstellen betraf den Regelungsgegenstand „Überstunden”, die andere den Regelungsgegenstand „Arbeitszeit im Verkauf” bzw. „Personaleinsatzplanung”. Der als Gewerkschaftssekretär bei ver.di tätige Antragsteller nahm als Beisitzer auf Betriebsratsseite am 29. August, am 23. September sowie am 27. September 2011 an Sitzungen der Einigungsstellen teil. Seiner Teilnahme lag ein Beschluss des Betriebsrats vom 18. Mai 2011 zugrunde. Zu der ordentlichen Sitzung des aus 31 Mitgliedern bestehenden Betriebsrats am 18. Mai 2011, 12:00 Uhr waren die Betriebsratsmitglieder ordnungsgemäß geladen worden. Die Tagesordnung zu der ordentlichen Sitzung des Betriebsrats war den Mitgliedern des Betriebsrats entsprechend des § 5 Nr. 1 der Geschäftsordnung des Betriebsrats zehn Tage vorher mitgeteilt worden.
Die ordentliche Betriebsratssitzung am 18. Mai 2011 begann erst um 14:36 Uhr, da zunächst von 10:00 Uhr bis 14:35 Uhr eine außerordentliche Betriebsratssitzung durchgeführt wurde. Die Ladung zu der außerordentlichen Betriebsratssitzung war frühestens am Vortag ohne Mitteilung der Tagesordnung erfolgt. Nach § 5 Nr. 2 der Geschäftsordnung des Betriebsrats ist zu außerordentlichen Sitzungen eine kurzfristige, auch telefonische Einladung zulässig. Die Tagesordnung zu der außerordentlichen Sitzung wurde den anwesenden Betriebsratsmitgliedern bei Sitzungsbeginn über einen Beamer bekannt gegeben. Im Rahmen der außerordentlichen Betriebsratssitzung wurde die Mitwirkung des Antragstellers als Beisitzer der Einigungsstelle „Arbeitszeit im Verkauf” (TOP 22) sowie der Einigungsstelle „Überstunden” (TOP 38) bei 16 Ja-Stimmen und zwei (TOP 22) bzw. drei (TOP 38) Enthaltungen beschlossen. Das Protokoll über die außerordentliche Betriebsratssitzung hat auszugsweise folgenden Inhalt:
„Top 20 Beschlussfassung zur Betriebsvereinbarung
‚Arbeitszeit im Verkauf’ …
Der Betriebsrat hat festgestellt, dass der Arbeitgeber die bisher gültige Betriebsvereinbarung ‚Arbeitszeit im Verkauf’ mit Schreiben vom 29.04.2011, erhalt am 10.05.2011 gekündigt hat. … Der Betriebsrat beschließt daher den Arbeitgeber aufzufordern, dem Betriebsrat gegenüber die Bereitschaft zu Verhandlungen über eine Nachfolgevereinbarung anzuzeigen und bis zum 25.05.2011 mit dem Betriebsrat in konkrete Verhandlungen mit dem Ziel des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung zu treten.
…
Top 22 …
… Es ist gegebenenfalls damit zu rechnen, dass der Arbeitgeber die Verhandlungen zur Aufnahme zu einer Nachfolgevereinbarung der Betriebsvereinbarung ‚Arbeitszeit im Verkauf’ verweigert oder diese Verhandlungen scheitern. Der Betriebsrat beschließt zur Herbeiführung einer Einigung bezüglich einer Nachfolgevereinbarung der Betriebsvereinbarung ‚Arbeitszeit im Verkauf’ wird gemäß § 76 BetrVG die Einigungsstelle angerufen.
1. Die Anrufung erfolgt unter dem Vorbehalt, dass mit der Geschäftsführung bzw. der Personalabteilung nicht bis zum 30.08.2011 eine Einigung erzielt wird, …
…
3. … Desgleichen werden … und Herr R (ver.di) als Beisitzer festgelegt.
…
Top 36 …
Der Betriebsrat hat festgestellt, dass der Arbeitgeber die bisher gültige Betriebsvereinbarung ‚Überstunden’ mit Schreiben vom 29.04.2011, erhalten am 10.05.2011 gekündigt hat. … Der Betriebsrat beschließt daher den Arbeitgeber aufzufordern, dem Betriebsrat gegenüber die Bereitschaft zu Verhandlungen über eine Nachfolgevereinbarung anzuzeigen und bis zum 25.05.2011 mit dem Betriebsrat in konkrete Verhandlungen mit dem Ziel des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung zu treten.
…
Top 38 …
… Es ist gegebenenfalls damit zu rechnen, dass der Arbeitgeber die Verhandlungen zur Aufnahme einer Nachfolgevereinbarung der Betriebsvereinbarung ‚Überstunden’ verweigert oder diese Verhandlungen scheitern. Der Betriebsrat beschließt zur Herbeiführung einer Einigung bezüglich einer Nachfolgevereinbarung der Betriebsvereinbarung ‚Überstunden’ wird gemäß § 76 BetrVG die Einigungsstelle angerufen.
1. Die Anrufung erfolgt unter dem Vorbehalt, dass mit der Geschäftsführung bzw. der Personalabteilung nicht bis zum 30.08.2011 eine Einigung erzielt wird, …
…
3. … Desgleichen werden … und Herr R (ver.di) als Beisitzer festgelegt.
…
Top 43 Informationen und Gesprächsrunde zum geplanten neuen Sitzungsablauf (2 Tage)
Z schlägt vor das die BR-Sitzungen 2 Tage laufen sollten.
…
Pause 13:06 – 13:35 Uhr
Keine Einwände der Tagesordnung und Uhr keine Einwände gegen die außerordentliche Sitzung, einstimmig angenommen (26 BR-Mitglieder)
E schlägt vor das mehr Arbeit in den BA gelegt werden soll und dann entschieden werden kann ob der BR an 2 Tagen oder an einem 1 Tag Sitzung abhalten sollten.
Vertagt auf die nächste Sitzung.
…”
Der Antragsteller verlangte von der Arbeitgeberin für seine Tätigkeit als Beisitzer der Einigungsstellen mit Schreiben vom 1. Oktober 2012 ein Honorar von 7/10 des Honorars der Vorsitzenden der Einigungsstelle zzgl. 19 % MwSt. in Höhe von insgesamt 6.664,00 Euro, außerdem die Erstattung von Fahrtkosten in Höhe von 974,61 Euro sowie Übernachtungskosten in Höhe von 491,00 Euro. Da die Arbeitgeberin die Rechnungen nicht beglich, leitete der Antragsteller am 22. Dezember 2014 das vorliegende Beschlussverfahren ein.
Der Antragsteller hat die Auffassung vertreten, er sei in der außerordentlichen Sitzung des Betriebsrats am 18. Mai 2011 zum Beisitzer der Einigungsstellen bestellt worden. Die Beschlussfassung des Betriebsrats sei wirksam. Zu der Betriebsratssitzung sei ordnungsgemäß eingeladen und die Tagesordnung sei ordnungsgemäß bekannt gemacht worden. Etwaige Mängel der zunächst gefassten Beschlüsse seien jedenfalls durch die spätere Beschlussfassung nach der Pause, die um 13:35 Uhr geendet habe, geheilt worden. Der Betriebsrat habe beschlossen, dass keine Einwände gegen die außerordentliche Sitzung und die Tagesordnung bestünden. Dieser Beschluss sei zu einem Zeitpunkt gefasst worden, zu dem alle Mitglieder des Betriebsrats ordnungsgemäß geladen worden waren. Sollte der Beschluss des Betriebsrats über seine Bestellung zum Beisitzer der Einigungsstellen unwirksam sein, könne sich die Arbeitgeberin darauf nicht berufen, da sie im Rahmen der Einigungsstellensitzungen seine Teilnahme als Beisitzer nicht gerügt habe. Sie verhalte sich widersprüchlich, wenn sie im Nachhinein eine Zahlung ablehne.
Der Antragsteller hat zuletzt beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, an ihn 8.129,61 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. November 2012 zu zahlen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Betriebsrat habe den Antragsteller nicht durch einen ordnungsgemäß gefassten Beschluss zum Beisitzer der Einigungsstellen bestellt. Sie hat eine Beschlussfassung des Betriebsrats zur Genehmigung der Tagesordnung bestritten.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung abgeändert und dem Antrag stattgegeben. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Antragsteller beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag zu Recht stattgegeben. Der Antragsteller hat gegen die Arbeitgeberin nach § 76a Abs. 3 BetrVG einen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Vergütung für seine Mitwirkung an den Einigungsstellen zzgl. Fahrt- und Übernachtungskosten in Höhe von insgesamt 8.129,61 Euro nebst Zinsen.
I. Nach § 76a Abs. 3 BetrVG hat ein betriebsfremder Beisitzer gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit im Einigungsstellenverfahren, dessen Höhe sich nach den Grundsätzen des § 76a Abs. 4 Satz 3 bis 5 BetrVG richtet. § 76a Abs. 3 BetrVG begründet einen gesetzlichen Anspruch des betriebsfremden Beisitzers auf Vergütung seiner Tätigkeit in der Einigungsstelle (BAG 10. Oktober 2007 – 7 ABR 51/06 – Rn. 10, BAGE 124, 188). Dieser Vergütungsanspruch steht auch einem vom Betriebsrat bestellten hauptamtlichen Gewerkschaftssekretär zu (vgl. BAG 24. April 1996 – 7 ABR 40/95 – zu B 3 c der Gründe). Neben der Vergütung haben die Mitglieder der Einigungsstelle gemäß § 76a Abs. 1 BetrVG Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen und Auslagen, die durch ihre Tätigkeit entstehen. Dazu zählen Fahrt- und Übernachtungskosten (BAG 14. Februar 1996 – 7 ABR 24/95 – zu B III a der Gründe; Kreutz/Jacobs GK-BetrVG 10. Aufl. § 76a Rn. 13; Fitting 28. Aufl. § 76a Rn. 9, 14).
1. Der Honoraranspruch des von dem Betriebsrat bestellten betriebsfremden Beisitzers ist von dessen wirksamer Bestellung für eine im Betrieb des Arbeitgebers gebildete Einigungsstelle und der Annahme dieser Bestellung durch den Beisitzer abhängig. Der Betriebsrat muss dazu einen Beschluss über die Bestellung eines externen Einigungsstellenbeisitzers fassen, der den allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen genügt. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung, so entsteht weder ein Honoraranspruch nach § 76a Abs. 3 BetrVG (BAG 10. Oktober 2007 – 7 ABR 51/06 – Rn. 10 f. mwN, BAGE 124, 188) noch ein Anspruch auf Kostenerstattung.
a) Nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes handelt der Betriebsrat als Kollegialorgan. Er bildet seinen gemeinsamen Willen nach § 33 Abs. 1 BetrVG durch Beschluss. Dieser ist beachtlich, wenn er ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Dazu muss der Betriebsrat beschlussfähig iSd. § 33 BetrVG sein und sich auf einer Betriebsratssitzung aufgrund einer mit den Vorschriften des BetrVG in Einklang stehenden Ladung mit dem jeweiligen Sachverhalt befasst und durch Abstimmung eine einheitliche Willensbildung herbeigeführt haben (BAG 15. April 2014 – 1 ABR 2/13 (B) – Rn. 20 mwN, BAGE 148, 26).
b) Die Wirksamkeit eines in einer Betriebsratssitzung gefassten Betriebsratsbeschlusses setzt voraus, dass die Betriebsratsmitglieder nach § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG vom Vorsitzenden rechtzeitig unter Mitteilung der Tagesordnung zur Betriebsratssitzung geladen wurden. Die Vorschrift des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG dient mittelbar der Willensbildung des Betriebsrats, indem sie dem einzelnen Betriebsratsmitglied eine sachgerechte Sitzungsvorbereitung ermöglichen und ihn vor unbedachten und unvorbereiteten Entscheidungen schützen soll. Die rechtzeitige Ladung unter Übermittlung der Tagesordnung soll ihm Gelegenheit geben, sich ein Bild über die zu treffenden Entscheidungen zu machen und ihm die Möglichkeit eröffnen, sich sachgerecht und ordnungsgemäß auf die Betriebsratssitzung vorbereiten zu können. Damit wird eine demokratischen Grundprinzipien gerecht werdende Willensbildung des Betriebsrats gewährleistet und der Gefahr einer Überrumpelung einzelner Betriebsratsmitglieder bei der Beratung und anschließenden Abstimmung entgegengewirkt. Erfolgt die Ladung zu einer Betriebsratssitzung ohne Übermittlung der Tagesordnung, liegt ein evidenter Gesetzesverstoß vor (vgl. BAG 15. April 2014 – 1 ABR 2/13 (B) – Rn. 25 – 27, BAGE 148, 26).
c) Eine mangels Übermittlung der Tagesordnung iSd. § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG verfahrensfehlerhafte Ladung zu einer Betriebsratssitzung kann durch die ordnungsgemäß geladenen Mitglieder und Ersatzmitglieder des Betriebsrats in der Betriebsratssitzung geheilt werden, wenn der Betriebsrat beschlussfähig iSd. § 33 Abs. 2 BetrVG ist und die Anwesenden einstimmig beschließen, über einen Regelungsgegenstand zu beraten und abzustimmen. Das Erfordernis der Einstimmigkeit schützt das einzelne Betriebsratsmitglied davor, über betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten befinden zu müssen, mit denen es sich aus seiner Sicht noch nicht angemessen befasst und noch keine abschließende Meinung gebildet hat. Um diesen Schutz zu erreichen, wird von dem einzelnen Betriebsratsmitglied lediglich verlangt, der Ergänzung oder der Erstellung einer bisher nicht vorhandenen Tagesordnung ohne Begründung die Zustimmung zu verweigern. Bereits dadurch wird der Betriebsrat an einer abschließenden Willensbildung in der betreffenden Angelegenheit gehindert. Dagegen genügt es nicht, wenn die anwesenden Betriebsratsmitglieder mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit für die Ergänzung oder Aufstellung einer Tagesordnung stimmen. Dadurch wird die eigenständige Willensbildung des einzelnen Betriebsratsmitglieds nicht hinreichend geschützt. Vielmehr wäre es auf die Unterstützung anderer Mitglieder des Betriebsrats angewiesen. Dem soll die Verfahrensvorschrift des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG aber gerade entgegenwirken. Der einstimmige Beschluss kann von dem nach Maßgabe von § 33 Abs. 2 BetrVG beschlussfähigen Betriebsrat gefasst werden. Das vollständige Erscheinen aller Mitglieder des Betriebsrats ist nicht erforderlich. Der Normzweck des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG verlangt keine Einschränkung der allgemeinen Regelung über die Beschlussfähigkeit des Betriebsrats, wenn dieser über die Ergänzung oder Aufstellung einer Tagesordnung in der laufenden Betriebsratssitzung zu entscheiden hat. Diesem wird vielmehr durch das Einstimmigkeitserfordernis hinreichend Rechnung getragen (BAG 15. April 2014 – 1 ABR 2/13 (B) – Rn. 35 f., BAGE 148, 26).
2. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beschlussfassung des Betriebsrats unter TOP 22 und TOP 38 über die Bestellung des Antragstellers zum Beisitzer der Einigungsstellen sei ordnungsgemäß erfolgt, ist im Ergebnis rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden. Zwar war die Beschlussfassung in der außerordentlichen Betriebsratssitzung zunächst nicht ordnungsgemäß, da die Ladung zu dieser Sitzung entgegen § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nicht unter Bekanntgabe der Tagesordnung erfolgt war. Dieser Mangel wurde aber geheilt, da die nach der um 13:35 Uhr beendeten Pause anwesenden Betriebsratsmitglieder nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts der Tagesordnung einstimmig zugestimmt und damit auch die zuvor gefassten Beschlüsse über die Bestellung des Antragstellers zum Beisitzer der Einigungsstellen „Überstunden” und „Arbeitszeit im Verkauf” genehmigt haben. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Mitglieder des Betriebsrats ordnungsgemäß geladen und die Beschlussfähigkeit des Betriebsrats war gegeben.
a) Die ursprünglich unter TOP 22 und TOP 38 gefassten Beschlüsse, mit denen der Antragsteller zum Beisitzer der dort bezeichneten Einigungsstellen bestimmt wurde, waren zunächst unwirksam, da die Betriebsratsmitglieder zu der außerordentlichen Betriebsratssitzung nicht ordnungsgemäß geladen wurden. Es kann offenbleiben, ob die Ladung zu dieser Sitzung rechtzeitig erfolgt ist und ob alle Betriebsratsmitglieder einschließlich etwaiger Ersatzmitglieder geladen wurden. Die Ladung war schon deshalb nicht ordnungsgemäß, da sie nicht unter Bekanntgabe der Tagesordnung erfolgt ist.
b) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass der Betriebsrat die unter TOP 22 und TOP 38 gefassten Beschlüsse über die Bestellung des Antragstellers zum Beisitzer der Einigungsstellen nach der Mittagspause, die um 13:35 Uhr endete, wirksam bestätigt hat. Für die Zeit ab 12:00 Uhr waren die Betriebsrats- bzw. Ersatzmitglieder ordnungsgemäß geladen und die Erschienenen haben einstimmig sowohl der Tagesordnung zugestimmt als auch die zuvor mehrheitlich gefassten Beschlüsse genehmigt.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die anwesenden, ordnungsgemäß geladenen Betriebsratsmitglieder mit der Ergänzung der Tagesordnung zugleich einen zuvor unwirksam gefassten Beschluss einstimmig genehmigen konnten. Das Prinzip der Einstimmigkeit schützt das einzelne Betriebsratsmitglied auch insoweit ausreichend vor einer Überrumpelung und wahrt seine Rechte bei der demokratischen Willensbildung. Jedes Betriebsratsmitglied kann ohne weitere Begründung gegen eine Erweiterung der Tagesordnung stimmen und damit eine Vertagung der Tagesordnungspunkte erwirken, die ihm mit der Ladung nicht mitgeteilt wurden. Wurde bereits ein – unwirksamer – Beschluss gefasst, ist der Tagesordnungspunkt nach ordnungsgemäßer Ladung und hinreichender Vorbereitungszeit dann neu zu behandeln und ggf. ein erneuter Beschluss zu fassen. Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin besteht kein Anhaltspunkt dafür anzunehmen, ein einzelnes Betriebsratsmitglied werde in einer solchen Situation nicht verantwortungsvoll darüber entscheiden, ob es der Ergänzung der Tagesordnung zustimmt und Beschlüsse auch ohne erneute Erörterung genehmigt.
bb) Im Streitfall haben die nach der um 13:35 Uhr beendeten Pause anwesenden Betriebsratsmitglieder eine Erweiterung der Tagesordnung einstimmig beschlossen und zugleich die während der außerordentlichen Sitzung unter TOP 22 und TOP 38 gefassten Beschlüsse wirksam genehmigt. Das Landesarbeitsgericht hat die Formulierung in der Sitzungsniederschrift über die außerordentliche Betriebsratssitzung „Keine Einwände der Tagesordnung, einstimmig angenommen (26 BR-Mitglieder)” zutreffend als Beschluss über die Annahme der Tagesordnung verstanden. Zum Zeitpunkt der Abstimmung über die Erweiterung der Tagesordnung und die Genehmigung der am Vormittag gefassten Beschlüsse waren alle Betriebsratsmitglieder unter Wahrung der zehntägigen Ladungsfrist nach § 5 Nr. 1 der Geschäftsordnung des Betriebsrats ordnungsgemäß geladen. Mit der Ladung konnten sie sich auf den Sitzungstermin des Betriebsrats und damit auf die dort – ggf. nach einer einstimmig erweiterten Tagesordnung – zu fassenden Beschlüsse einrichten. Für ihre Willensbildung war es unbeachtlich, ob die Abstimmung im Rahmen einer ordentlichen oder außerordentlichen Sitzung stattfand. Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin erstreckt sich der Beschluss nicht nur auf die nach der Mittagspause zu behandelnden Tagesordnungspunkte, sondern erfasst die an diesem Tag bereits behandelten Tagesordnungspunkte und die dazu ergangenen Beschlüsse. Für die gegenteilige Annahme ergibt sich aus dem Protokoll kein Anhaltspunkt.
cc) Die Rüge der Arbeitgeberin, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht festgestellt, dass der Betriebsrat zur Genehmigung der Tagesordnung überhaupt einen Beschluss gefasst hat, greift nicht durch. Ihr steht der Beweiswert der Sitzungsniederschrift über die außerordentliche Betriebsratssitzung vom 18. Mai 2011 entgegen.
(1) Die Beweisbedürftigkeit einer umstrittenen Beschlussfassung des Betriebsrats entfällt zwar nicht durch eine Sitzungsniederschrift über die Betriebsratssitzung, aus der eine entsprechende Beschlussfassung ersichtlich ist. Deren Aufnahme in das Protokoll begründet keine gesetzliche Vermutung iSd. § 292 ZPO dafür, dass der dort wiedergegebene Beschluss von den anwesenden Betriebsratsmitgliedern gefasst worden ist. Eine solche Beweisregel enthält § 34 BetrVG nicht (vgl. BAG 30. September 2014 – 1 ABR 32/13 – Rn. 38, BAGE 149, 182). Der Sitzungsniederschrift kommt jedoch ein hoher Beweiswert zu, der bei der nach § 286 Abs. 1 ZPO gebotenen Würdigung über die Beschlussfassung des Betriebsrats zu berücksichtigen ist. Eine Aufklärung über den Verlauf der Betriebsratssitzung und die Beschlussfassung ist daher regelmäßig entbehrlich, wenn der Betriebsrat ein den Anforderungen des § 34 BetrVG genügendes Protokoll der Betriebsratssitzung vorlegt, aus dem die vom Arbeitgeber bestrittene Beschlussfassung ersichtlich ist (BAG 30. September 2014 – 1 ABR 32/13 – Rn. 39 ff., aaO). Lässt sich aus der Sitzungsniederschrift die ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats entnehmen, bedarf es daher im Regelfall keiner weiter gehenden tatsächlichen Darlegungen oder einer darauf gerichteten Durchführung einer Beweisaufnahme. Vielmehr obliegt es dann dem Arbeitgeber, den Beweiswert der Niederschrift zu erschüttern oder unter Beweisantritt einen für die Führung des Gegenbeweises über das (Nicht-) Vorliegen eines wirksamen Betriebsratsbeschlusses geeigneten Vortrag zu halten. Erst einem solchen Vortrag muss das Arbeitsgericht nachgehen (BAG 30. September 2014 – 1 ABR 32/13 – Rn. 45, aaO; 25. März 1992 – 7 ABR 65/90 – zu B III 6 der Gründe, BAGE 70, 85).
(2) Das Protokoll der außerordentlichen Sitzung vom 18. Mai 2011 enthält den Beschlussinhalt, das Stimmenverhältnis sowie eine von den Sitzungsteilnehmern unterzeichnete Anwesenheitsliste. Zudem ist aus der Sitzungsniederschrift ersichtlich, dass in der Zeit, in der der Beschluss über die Genehmigung der Tagesordnung gefasst wurde, 26 Betriebsratsmitglieder anwesend waren. Die Arbeitgeberin hat keinen Vortrag gehalten, der das Beschwerdegericht veranlassen musste, die Beschlussfassung in der Betriebsratssitzung vom 18. Mai 2011 weiter aufzuklären. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin liegt keine Unstimmigkeit der Sitzungsniederschrift, die das Landesarbeitsgericht zu weiterer Aufklärung der Beschlussfassung hätte veranlassen müssen, darin, dass der Beschluss über die Tagesordnung von 26 anwesenden Betriebsratsmitgliedern nach 13:35 Uhr gefasst wurde und in den Protokollnotizen die zeitweise Abwesenheit von bis zu vier Betriebsratsmitgliedern nach 13:40 Uhr vermerkt ist. Wie sich aus dem Protokoll ergibt, wurde vor der Pause TOP 43 besprochen. Nach dem Protokoll fand die Pause von 13:06 Uhr bis 13:35 Uhr statt. Nach der Pause wurde laut Protokoll zunächst von den 26 anwesenden Betriebsratsmitgliedern einstimmig der Beschluss über die Genehmigung der Tagesordnung gefasst. Im Anschluss daran wurde TOP 43 ausweislich der Sitzungsniederschrift erneut behandelt. Dieser protokollierte Ablauf weist keinen Widerspruch auf, der geeignet wäre, den Beweiswert der Sitzungsniederschrift zu erschüttern. Der Umstand, dass bei der Behandlung von TOP 43 zeitweise bis zu vier Betriebsratsmitglieder nicht anwesend waren, spricht nicht dagegen, dass zuvor alle 26 nach der Pause erschienenen Betriebsratsmitglieder den Beschluss über die Genehmigung der Tagesordnung gefasst haben.
c) Da die Bestellung des Antragstellers zum Beisitzer der beiden Einigungsstellen ordnungsgemäß erfolgt ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob es der Arbeitgeberin nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt wäre, sich auf die Unwirksamkeit der Beschlussfassung über die Bestellung des Antragstellers als Einigungsstellenbeisitzer zu berufen, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat.
II. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zur Höhe des von der Arbeitgeberin an den Antragsteller zu zahlenden Honorars von insgesamt 6.664,00 Euro für die Tätigkeit in den Einigungsstellen sowie zur Höhe der ihm zu erstattenden Fahrtkosten von 974,61 Euro und Übernachtungskosten in Höhe von 491,00 Euro sind rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden. Sie sind von der Arbeitgeberin auch nicht angegriffen worden.
Unterschriften
Gräfl, Waskow, Kiel, Steininger, H. Hansen
Fundstellen
FA 2018, 174 |
NZA 2018, 732 |
AP 2018 |
EzA-SD 2018, 16 |
EzA 2018 |
ArbR 2018, 212 |