Entscheidungsstichwort (Thema)
Divergenzbeschwerde
Leitsatz (amtlich)
Im arbeitsgerichtlichen Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren kann anders als in anderen Verfahrensordnungen ein Verfahrensmangel die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen. Das gilt ausnahmslos, selbst wenn es sich um einen absoluten Revisionsgrund handelt oder der Beschwerdeführer behauptet, aus seinem in Art. 103 GG enthaltenen Recht verletzt zu sein.
Normenkette
ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 72a Abs. 1; BVerfGG § 13; GG Art. 103
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. November 2000 – 9 Sa 145/00 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Beschwerde zu tragen.
Der Streitwert wird auf 184.627,19 DM festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger macht Ansprüche aus Annahmeverzug geltend.
Er war bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin als Frachtführer tätig. Die Beklagte kündigte das Rechtsverhältnis am 29. November 1996 zum 31. Dezember 1996. Das Landesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 25. August 1998 festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden sei. Darauf kündigte die Beklagte erneut mit Schreiben vom 23. September 1998 fristlos, vorsorglich ordentlich zum 31. Oktober 1998 wegen unerlaubter Konkurrenztätigkeit. Auf die erneute Kündigungsschutzklage hat das Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 18. April 2000 die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt. Die danach von dem Kläger erhobene Klage auf Zahlung von Vergütung für die Zeit des Annahmeverzuges in Höhe von 184.627,19 DM hat das Arbeitsgericht abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden, ohne die Revision zuzulassen. Hiergegen wendet sich die vom Kläger erhobene Beschwerde, die auf Divergenz gestützt wird.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Nach § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 72 a Abs. 1 ArbGG kann die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die Nichtzulassung der Revision wegen Divergenz angefochten werden. Das Bundesarbeitsgericht hat als Beschwerdegericht die Revision zuzulassen, wenn das anzufechtende Urteil von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder eines der anderen in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte abweicht und die Abweichung für die anzufechtende Entscheidung erheblich ist. Das setzt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts voraus, daß das Berufungsgericht zu einer bestimmten Rechtsfrage einen fallübergreifenden Rechtssatz aufgestellt hat, der einem Rechtssatz widerspricht, der zu derselben Rechtsfrage in einer der genannten divergenzfähigen Entscheidungen enthalten ist(ständige Rechtsprechung des BAG vgl. 8. August 1997 – 4 AZN 369/97 – AP ArbGG 1979 § 72 a Divergenz Nr. 35 = EzA ArbGG 1979 § 72 a Nr. 80; Senat 8. August 2000 – 9 AZN 520/00 – AP ArbGG 1979 § 72 a Divergenz Nr. 40 = EzA ArbGG 1979 § 72 a Nr. 91; 14. Februar 2001 – 9 AZN 878/00 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
2. Die Sachprüfung ergibt, daß entgegen den Darlegungen der Beschwerdebegründung die Zulassungsvoraussetzungen nicht vorliegen.
a) Der Beschwerdeführer hat dargelegt, das Landesarbeitsgericht sei zu der Rechtsfrage der Rechtskraftdurchbrechung von einem Rechtssatz abgewichen, den eine andere Kammer desselben Landesarbeitsgerichts aufgestellt habe. Dazu hat er aus dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 19. September 1986(– 13 Sa 325/86 – nv.) folgende Rechtssätze angeführt:
„Die erste Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 826 BGB gegenüber der Rechtskraft eines Urteils ist – gleichgültig ob die Berufung auf § 826 BGB mit Erschleichung des Urteils oder mit der sittenwidrigen Ausnutzung eines nicht erschlichenen Urteils begründet wird – der Vortrag und der Nachweis dafür, daß das Urteil objektiv unrichtig ist. …
Die Unrichtigkeit des rechtskräftigen Urteils kann in einer nach § 826 BGB beachtlichen Weise nicht allein damit dargetan werden, daß der Kläger (der auf § 826 BGB gestützten Klage) nochmals dieselben Tatsachenbehauptungen, Beweismittel und Rechtsausführungen vorbringt, die er schon in dem abgeschlossenen Vorprozeß vorgetragen hat.”
Durch die folgenden, zum Teil von der Beschwerde formulierten Rechtssätze sei in dem anzufechtenden Urteil davon abgewichen worden:
„Der unter Verstoß gegen § 138 Abs. 1 und 2 ZPO bewußt falsche, verzerrende oder unvollständige Tatsachendarstellung zur Erzielung des gewünschten Ergebnisses steht nicht entgegen, dass der Beklagte für das falsche Urteil verantwortlich ist, weil er in dem Vorprozess wesentliche Unterlagen nicht eingereicht hatte und sich während des gesamten Rechtsstreits vornehmlich mit der Würdigung des Rechtsverhältnisses der Parteien zugrunde liegenden Vereinbarung zur Wehr gesetzt hatte.
Die Beklagte ist nicht gehindert, die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch den Kläger in dem Vorprozess in diesem Rechtsstreit, gerade im Wege eines unrichtigen präjudiziellen Feststellungsurteils wie hier, gegenüber der allgemeinen Arglisteinrede gemäß § 242 BGB geltend zu machen.”
Die Sachprüfung ergibt, daß der von der Beschwerde behauptete Widerspruch nicht vorliegt. Die aus der herangezogenen Entscheidung der 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts entnommenen Rechtssätze beziehen sich auf die Rechtsfrage, inwieweit der Nachweis der objektiven Unrichtigkeit des Urteils Voraussetzung für die Anwendung des § 826 BGB ist. Die von der Beschwerde aufgezeigten Rechtssätze aus dem anzufechtenden Urteil beziehen sich darauf, inwieweit eine Prozeßpartei daran gehindert ist, die allgemeine Arglisteinrede des § 242 BGB geltend zu machen, wenn sie im Vorprozeß nicht ihren Mitwirkungspflichten vollständig nachgekommen ist. Das ist eine andere Rechtsfrage.
b) Soweit die Beschwerde eine Divergenz zu Entscheidungen des Bundesgerichtshofs rügt, verkennt sie die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG. In dem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren können nur Abweichungen von den Entscheidungen der Gerichte geltend gemacht werden, die in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG aufgeführt sind. Dazu gehört der Bundesgerichtshof nicht.
c) Die Beschwerde hat weiterhin geltend gemacht, in dem anzufechtenden Urteil habe das Landesarbeitsgericht einen Rechtssatz zu der Frage aufgestellt, daß in der „freien Zeit” erworbener Zwischenverdienst auf die Vergütung für Annahmeverzug anrechenbar sei. Damit sei das Landesarbeitsgericht von einem in dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 6. September 1990(– 2 AZR 165/90 – AP BGB § 615 Nr. 47 = EzA BGB § 615 Nr. 67) aufgestellten Rechtssatz abgewichen. Ob eine derartige Abweichung vorliegt, bedarf keiner Entscheidung. Die Beschwerde übersieht, daß der vermeintlich abweichende Rechtssatz des Landesarbeitsgerichts in einer Zweitbegründung enthalten ist. Nach der Hauptbegründung ist bereits der Annahmeverzug ausgeschlossen, weil das Rechtsverhältnis der Parteien kein Arbeitsverhältnis war und es der Beklagten deshalb nicht oblag, dem Kläger einen funktionsfähigen Arbeitsplatz täglich zur Verfügung zu stellen. Somit könnte selbst dann, wenn das Landesarbeitsgericht in der Hilfsbegründung einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hätte, die Beschwerde keinen Erfolg haben. Denn diese Abweichung beruht dann nicht auf der gerügten Rechtssatzdivergenz.
d) Entgegen der Ansicht der Beschwerde kann im arbeitsgerichtlichen Verfahren die Zulassung der Revision nicht mit einem Verfahrensmangel gerechtfertigt werden. Das gilt aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts selbst dann, wenn ein Verfahrensfehler offenkundig ist(vgl. Senat 20. September 1993 – 9 AZN 400/93 – AP ArbGG 1979 § 72 a Nr. 28 = EzA ArbGG 1979 § 72 Nr. 15; BAG 13. Dezember 1995 – 4 AZN 576/95 – AP ArbGG 1979 § 72 a Nr. 36 = EzA ArbGG 1979 § 72 a Nr. 74). Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet(BVerfG 26. März 2001 – 1 BvR 383/00 – nv.).
3. Auch der nach Ablauf der Beschwerdefrist vorgebrachte „Gesichtspunkt der greifbaren Gesetzeswidrigkeit” kann nicht die Zulassung der Revision begründen. Die Beschwerde verkennt, daß im Beschwerdeverfahren ausschließlich zu prüfen ist, ob Gründe für die Zulassung der Revision vorliegen (vgl. § 72 Abs. 2 in Verb. mit § 72 a Abs. 1 ArbGG). Die Berücksichtigung von Verfahrensmängeln und Rechtsanwendungsfehlern ist dem Beschwerdegericht verwehrt. Ob das anzufechtende Berufungsurteil den Kläger in seinen verfassungsrechtlichen Rechten verletzt, ist hier nicht zu entscheiden. Die Prüfungskompetenz des Gerichts ist nach § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG darauf beschränkt, eine von der Beschwerdeführerin aufgezeigte Rechtssatzdivergenz zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts festzustellen(vgl. BAG 10. März 1999 – 4 AZN 857/98 – BAGE 91, 93). Die Beschwerdeführerin hat keine Abweichung in einem vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Rechtssatz aufgezeigt. Für die von dem Beschwerdeführer vorgebrachte Rüge, das Berufungsgericht habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, ist das Beschwerdegericht nicht zuständig. Nach § 13 Nr. 8 a BVerfGG entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem der in Art. 103 GG enthaltenen Rechte verletzt zu sein (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG).
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, ein Gericht dürfe die Prüfung der Rüge, die Vorinstanz habe das rechtliche Gehör verletzt, nicht mit der Begründung ablehnen, hierfür stehe dem Betroffenen die Verfassungsbeschwerde zur Verfügung(BVerfG 10. Oktober 1978 – 1 BvR 475/78 – BVerfGE 49, 252). Damit sind die Fachgerichte jedoch nicht zu einer umfassenden Beseitigung etwaiger Verstöße gegen Verfahrensgrundrechte berechtigt. Die Verweisung auf die Verfassungsbeschwerde bleibt zulässig, wenn keine rechtlich vertretbare Möglichkeit besteht, eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten fachgerichtlich zu korrigieren(BVerfG 10. Oktober 1978 – 1 BvR 475/78 – BVerfGE 49, 252, 260).
So ist es hier. Ziel des Beschwerdeverfahrens nach § 72 a Abs. 1 ArbGG ist die Überprüfung der Nichtzulassungsentscheidung, nicht jedoch die Überprüfung der Sachentscheidung des Berufungsgerichts. Die Berücksichtigung von grundrechtsrelevanten Verfahrensmängeln hat der Gesetzgeber für das arbeitsgerichtliche Verfahren bewußt abweichend von anderen Verfahrensordnungen ausgeschlossen (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VWGO). Dieser Zustand mag aus rechtsstaatlicher Sicht auf Dauer schwer hinzunehmen sein(vgl. BVerfG 26. März 2001 – 1 BvR 383/00 – aaO). Solange dieser Bereich des individuellen Grundrechtsschutzes jedoch nicht auf die Fachgerichtsbarkeit verlagert wird, steht einem Betroffenen nur die Verfassungsbeschwerde zur Verfügung, um eine Aufhebung der ihn beschwerenden landesarbeitsgerichtlichen Entscheidung zu erreichen. Das entspricht auch der Auffassung der Kommission zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts, die den Vorschlag, insoweit das Bundesverfassungsgericht zu entlasten, abgelehnt hat (vgl. Graßhoff „Grundrechtsschutz durch die rechtsprechende Gewalt. Die maßgebliche Rolle des Bundesverfassungsgerichts” in Alexy/Laux 50 Jahre Grundgesetz S 47, 64).
III. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Beschwerde zu tragen. Der Streitwert ist nach § 25 Abs. 2 GKG festgesetzt.
Unterschriften
Leinemann, Reinecke, Düwell, Jungermann, Benrath
Fundstellen
Haufe-Index 637692 |
BAGE, 109 |
BB 2001, 1799 |
NJW 2001, 3142 |
EBE/BAG 2001, 141 |
FA 2001, 278 |
NZA 2001, 1036 |
SAE 2002, 115 |
AP, 0 |
EzA |
AUR 2001, 359 |
MittRKKöln 2001, 329 |
BAGReport 2001, 29 |
www.judicialis.de 2001 |